Bruno Bauer – »Die evangelische Landeskirche Preußens und die Wissenschaft«

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Hansjörg Rothe

Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Wie­der­ge­le­sen von Hans­jörg Rothe

 

Wie ich kürz­lich in einem Buch des »Lai­en­li­te­ra­ten« (Die Welt) Wolf­gang Wald­ner recht über­zeu­gend argu­men­tiert fand, begann Karl Marx seine bemer­kens­werte Kar­riere als Agent des preu­ßi­schen Innen­mi­nis­te­ri­ums und war in die­ser Eigen­schaft auf Bruno Bauer ange­setzt. Sollte dem so gewe­sen sein, hät­ten wir heute die Situa­tion, dass der Name des »IM« nach wie vor in aller Munde, der des »ope­ra­ti­ven Vor­gangs« aber ver­ges­sen ist. Grund genug, ein­mal wie­der etwas von ihm zu lesen!

Bruno Bauer war wis­sen­schaft­lich arbei­ten­der Theo­loge. Unter »Wis­sen­schaft« ver­stand er die Über­set­zung und unvor­ein­ge­nom­mene Inter­pre­ta­tion ori­gi­na­ler Texte in den Alten Spra­chen, die  damals durch Ent­schlüs­se­lung der Hie­ro­gly­phen und ande­rer Schrift­sys­teme zugäng­lich wur­den. Nach sei­nen Stu­dien an den preu­ßi­schen Uni­ver­si­tä­ten Ber­lin und Bonn wurde er publi­zis­tisch aktiv, erhielt aber nie eine Anstel­lung. Schon in der Ein­lei­tung stoße ich auf Sätze, die aus der heu­ti­gen Zeit stam­men könnten:

»Eine drü­ckende Schwüle las­tete in den letzt­ver­gang­nen Jah­ren über der Wis­sen­schaft und drohte ihr alle freiere Bewe­gung zu rau­ben; die Kunst der Regie­rung schien allein dar­auf gerich­tet zu seyn, die Auf­gabe der Zeit zurück­zu­stel­len und die bedeu­tendste Frage in der Schwebe zu erhal­ten, und unver­meid­lich war es, dass man­cher Ein­zelne lei­den mußte. Wir wer­den des­halb nicht kla­gen, noch weni­ger irgend Jeman­den anklagen.«

Geht es mir alleine so, dass ich dabei an die Mikro­bio­lo­gie­pro­fes­so­ren, Sta­tis­ti­ker, Amts­rich­ter und stell­ver­tre­ten­den Gesund­heits­amts­lei­ter den­ken muss, die in den letz­ten Jah­ren plötz­lich zu Hel­den wur­den, obwohl sie das gar nicht vor­ge­habt hatten?

Wei­ter: »Die Wuth der Feinde der Wis­sen­schaft kannte kein Maß mehr, ihre Ankla­gen ver­läs­ter­ten das Den­ken als gott­los und fre­vel­haft, ja als den Ruin des Staates.«

Ist »Quer­den­ken« heute womög­lich das »Den­ken« von damals? »Die feind­li­che Macht, die dem Den­ken bis­her ent­ge­gen­ge­tre­ten ist, war nur eine ele­men­ta­ri­sche, gestalt­lose und uner­reich­bare; wie sollte man also mit ihr kämp­fen, wenn sie in kei­ner Weise eine eben­bür­tige war? Der wis­sen­schaft­li­chen Arbeit setzte sie Ver­ket­ze­rung, dem Den­ken bür­ger­li­che Anklage ent­ge­gen, und da sie ihren Geg­ner nicht wider­le­gen konnte und, wenn sie sich nicht bloß geben wollte, eine Wider­le­gung nicht ein­mal ver­su­chen durfte, so straft sie den heim­lich oder öffent­lich Ver­ket­zer­ten mit einem lang­sa­men Hun­ger­tode, indem sie der Regie­rung unauf­hör­lich zuruft, der Phi­lo­soph zer­störe Staat, Sitte und Religion.«

Apro­pos Reli­gion, und damit zur evan­ge­li­schen Lan­des­kir­che: Deren Tages­lo­sung lau­tete 1840 noch nicht »Imp­fen ist Nächs­ten­liebe« – auf Anord­nung von König Fried­rich Wil­helm III. war aber das Jahr­hun­dert­pro­jekt des preu­ßi­schen Königs­hau­ses 1817 schließ­lich umge­setzt und eine neue Reli­gion in Gestalt der Unier­ten, aus Refor­mier­ten und Luthe­ra­nern ver­ei­nig­ten Kir­che kre­iert wor­den. Bauer, der in der Frage, ob das Ganze nun das Wahre (Hegel) oder das Fal­sche (Adorno) sei, auf Sei­ten des ers­te­ren stand – wobei Adorno damals noch »Zukunfts­mu­sik« (Wag­ner) war – sagte vor­aus, dass diese Ver­ei­ni­gung für beide Teile zu einer Ver­leug­nung ihres Wesens füh­ren würde. Tat­säch­lich ent­stan­den prompt die Alt­lu­the­ra­ner, die es im Gegen­satz zum preu­ßi­schen Königs­haus bis heute gibt.

Doch wer käme der Gestalt von Fried­rich Wil­helm III. heute am nächs­ten? Papst Fran­zis­kus viel­leicht, oder die Prot­ago­nis­ten der »Abra­ha­mi­ti­schen Öku­mene« aus Juden­tum, Chris­ten­tum und Islam? Wis­sen­schaft­li­che Wahr­heits­liebe ist jeden­falls damals wie heute das Gebot der Stunde, nicht nur in der Geis­tes­wis­sen­schaft son­dern auch in der Medizin.

  • Bruno Bauer: Die evan­ge­li­sche Lan­des­kir­che Preu­ßens und die Wis­sen­schaft, Neu­druck der 2. Auf­lage Leip­zig 1840, Sci­en­tia Ver­lag Aalen 1972.
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