Als ich die Debatte zwischen Frank Simon ‑Ritz und Angela Egli-Schmidt in der TLZ las, kam mir mit Angela Eglis berechtigten Einwänden Fühmanns Erzählungsband »Saiäns-Fiktschen« (1981) in den Sinn. Leider ist dieser Band schon fast vergessen. Er hat ja mit Zukunft zu tun, freilich einer äußerst bedrohlichen. Die Erzählungen spielen um 3436. Es hat zwei Atomkriege gegeben. Von »einer schon im ersten Atomkrieg verschollenen Stadt namens Berlin« kündet nur noch ein »Kassenzettel aus dem Jahr 1998«. Belegt wird der »Kauf eines Stücks Seifenersatz«. Fühmann schreibt diese Erzählungen in einer tiefen Krise. Und er sagt in seinem Vorwort: »Die Welt dieser Geschichten ist irreale Endzeit, Summe und Konsequenz all des Negativen, das die sich bildende Menschheit entäußert«. Die letzte Erzählung des Bandes heißt »Pavlos Papierbuch«. Der Held hat ein einschneidendes Erlebnis, denn er hält eines der verbotenen, ansonsten sekretierten Papierbücher in der Hand. Was aber Fühmann mit in der Hand halten meint, ist weit mehr als das. Es ist das Haptische. Ein tastendes, sinnliches Begreifen eines Körpers der besonderen Art. Er »lag in der Hand wie ein Vogel in seinem Nest«, lesen wir da und »jede seiner Seiten war ein Gebilde, das ringsum mit Blicken abschreitbar war, ein Maß an Raum, in sich geschlossen und damit ein Maß auch für die Zeit«. Fühmann begreift mit dem staunenden Pavlo das Buch wie einen »Leib«, wie ein »Wesen«, das in seinen Händen lag. »Die Buchstaben rochen nach Dunkel und Ferne«. Ein ebook hält man wohl nicht so sinnhaft in der Hand. Beim Papierbuch wiegt man »mit der Hand und mit dem Auge«. So nochmals Fühmann. Nun ist ja gar nichts gegen die pragmatische Urlaubsentscheidung von wenig Gepäck und ganz verschiedenen Inhalten zu sagen. Gegen eine ganz praktischen Nutzen. Gegen Fachliteratur und Lexika in digitaler Nutzung. Aber dennoch stelle ich mir eine Papierbuch-Bibliothek weit anregender, bunter, vor allem lesefördernder als eine ebook-Bibliothek vor. Nein, es ist keine »Scheindebatte«.Es verbindet sich mit dem Papierbuch die Lektüre als einer ernsten, heiteren Angelegenheit in seiner Einsamkeit (!) mit dem Gefühl, etwas Lebendiges in der Hand zu halten, dem ich Sorgsamkeit angedeihen lassen soll, woraus eine komplexe ästhetische Erfahrung erwächst.
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