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Eberhard Häfner
Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Eberhard Häfner
Ein erratischer Block
oft nicht dort, wo er erwartet
Einer kehrt heim (aus der Kriegsgefangenschaft)
ein andrer geht mal kurz nach Hause (macht das Licht aus)
Wollen wir Heimat als eine thermodynamische Zustandsgröße des Herzens verstehen, wo jede emotionale Zuwendung, die durch Zufuhr von äußerer Wärme in Stofflichkeit sich entropisch verhält, weil innerhalb eines geschlossenen Systems die ablaufenden Prozesse zum Erliegen kommen, wenn empfangene Wärme (Liebe) nicht wieder nach außen abgegeben werden kann.
Also kann Heimat weder als Zustandsgröße des Herzens, noch als Begriff restlos übersetzt werden. (auf der Spur des Mathematikers Kurt Gödel)
Ich frage mich, kann der Philologe und Humanist Wilhelm von Humboldt heute noch aktuell und ausschließlich antworten: »Die wahre Heimat ist eigentlich die Sprache. Sie bestimmt die Sehnsucht danach, und die Entfernung vom Heimischen geht immer durch die Sprache am schnellsten«.
Heimat ist primär ein integrales Wort der Sprache, doch auch als Begriff verweist er auf gefühlsbetonte Verbundenheit des Menschen mit einem Ort oder einer Landschaft.
Man kann sagen, Heimat ein Singularetantum, so wie Schnee, Hunger, Durst und Hass.
Im Herzen existiert Heimat ohne Komposita. Setzt sich öfters fort als Schmerz, für manchen auch im religiösen Sinn für Gott oder für das traute Heim, darin endlich eingerichtet.
Aber für die Poesie ist Heimat brüchiges Eis. Vorsicht, kann daneben gehn. Wer darauf tanzt, riskiert einzubrechen.
Im Sprachgebrauch räumt man der Heimat ihre Lieder, Vereine, Häfen und Museen ein, irritierende Anhängsel mit falschen Besitzansprüchen.
In meiner Heimat gedeihen
außer Bäumen auch die Vorurteile
Heimat zu verorten, ihr landläufig einen Platz zuweisen, dass sie, wenn nötig, stets erkennbar bleibt, ist für mich ein Rückgriff in die Vergangenheit.
Gezeugt noch im Siegestaumel des Krieges. Die Besatzer aus West und Ost kamen und gingen. Verängstigt bin ich geblieben und machte aus der Not eine Tugend, von der ich nicht sicher war und bin ob sie identitätsstiftend.
Wenn man den Seinsgedanken Martin Heideggers weiter verfolgt, ist Heimat durch ein behütendes, pflegliches Tun geprägt, und aus dem entwickelten Neuen dem Entstehenden für seine Entwicklung Raum gebend.
Es ist unwahrscheinlich, dass Heidegger mit dieser Einstellung sich den Ansichten von Wilhelm Humboldt nähern wollte. Aber es ist nun mal so, dass beide über Sprache Heimat definieren. Außerdem verweist Heideggers Denken auf eine gewisse Nachhaltigkeit, das den Profitwahn zwar akzeptiert, aber nicht der Steigbügelhalter des Strebens nach Mehrwert sein will.
Es ist augenscheinlich, dass der moderne Mensch zum verfügbaren Bestand einer allein herrschenden instrumentellen Vernunft geworden ist; und daraus folgt, dass er Heimat, entweder ortsbezogen, oder sie in der tiefen Provinz vermutet, um nicht zu sagen verwechselt mit einer Herzensangelegenheit. Auch ist es nicht hilfreich Heiner Müller zu zitieren, Heimat sei dort, wo man seine Steuern bezahlt.
Allerdings kann ich für den größten Teil meines Lebens nur rück-bezüglich berichten und vermuten, ob Heimat nicht wie ein Damoklesschwert über mir hing. So, wie ich Heimat viele Jahre verstand, bot sie mir keinen Schutz. Selbst eine späte Rührung ist mir fremd. Vielleicht war in mir ein Dämon, der in mein Herz flüstern konnte. Ich gestattete ihm wahrscheinlich zu oft Gehör und dabei mir selber die Fremdheit eingebrockt. Meine Schulferien verbrachte ich bis 1957, mal bei der armen, mal bei der geizigen Verwandtschaft im Spessart und Frankfurt/Main. Später trug ich meine Einsamkeit in den Thüringer Wald, der stumm blieb wie ein Grab.
Ich lernte mich vor meiner Zukunft fürchten. Und schließlich wurde ich als erster Wehrpflichtiger 1962 erfasst. Damit erfüllte sich etwas, das ich mit Grauen (nix, außer Soldat) 19 Monate aushalten musste. Man kann sagen, dass ich unfreiwillig die so genannte Heimat verließ, und mir scheint es heute schicksalhaft. Auch scheinbare Zwänge verfügen über eine innere Logik, wenn man versteht, sie zu lenken. Während der vielen Wachen, die ich als Soldat schieben musste, habe ich ausschließlich mündlich Gedichte produziert, sie in die Nacht (kasernierte Elegien) gesprochen und war mir gewiss, sobald ich eine Sprache dafür gefunden, sie auch aufzuschreiben.
Trotz Erschwernis (Zuzug für eine Wohnung in Erfurt nicht genehmigt), weil ich in keinem staatlichen Arbeitsverhältnis stand, zogen meine Frau und ich in eine Hallelujah Kaserne der Ev. Kirche.
Regelmäßig von dort fuhr ich an den Südhang des Thüringer Waldes zu meiner kranken Mutter, die oft dem Tode von der Schippe ge-sprungen. Die wenigen Male, an die ich mich auch heute noch mit freudiger Wehmut erinnere, wenn wir unspektakuläre Flecken erwan- derten, die sie vielleicht nach ganz kurzem Eheglück mit meinem, nur als Schatten existierenden Vater, gegangen ist. Dieses Erinnern an eine Person, die man geliebt und sie heute noch in Gedanken streift, das ist ein Stück Heimat für mich. Doch eine Landschaft, die sich mit Dingen an sich oder gar Idyllen auszeichnet, ist für mich Material, ein Material, das überall Heimat oder ein Stück Welt sein kann.
Hier möchte ich kurz Zeugnis geben mit einem Gedicht, das 1979 in einer Dachkammer der Predigerkirche in Erfurt entstand, und 1989 in »Syndrom D« beim Aufbau-Verlag publiziert wurde.
Heimatlied
windsonne im leeren baum
hast du alles geträumt
wobinich
hutzliger mund
küsse mich gesund
Heimat als Ort, Landschaft oder Gefühl, wäre die unmittelbare Einsam- keit und eine ungestillte Sehnsucht, die sich selbst verzehren würde. Mit mir kann ich Sehnsucht nicht reflektieren. Ich brauche stets ein Ge- genüber. Das ist der geschriebene Text. Da entsteht, was mir wesent- lich ist. Ich erschaffe mir für den Augenblick nicht nur stumme, auch aktive Wegbegleiter in einem Gedicht. Man könnte sagen, Heimat anreichern mit dem, was mir notwendig scheint gesagt zu werden.
Für Novalis führen die Wege immer nach Hause, führen ihn zu seiner Geliebten, weiß sich im Leben als auch über den Tod hinaus mit ihr verbunden. Einerseits ist sie seine persönliche Heimat, andrerseits auch der metaphysische Raum, den er idealisiert, wo Körper und Geist hin zu einem wachsenden Bewusstsein streben, gewissermaßen in eine spirituelle Ewigkeit.
Mit der Nähe zum Göttlichen durch einen Mittler verbindet Novalis das Persönliche mit dem Spirituellen. In seiner rhythmisierten Prosa »Hymne an die Nacht« wird klar, was er nicht unbedingt philosophisch, sondern poetisch mit Mittler meint.
»eine Liebende, mütterliche Göttin, empor wachsend in vollen goldenen Garben – der Liebe heiliger Rausch ein süßer Dienst der schönsten Götterfrau –«
Während Rilke im Gedicht von Herd und Heim schreibt: Vertrieben ins Ferne, nicht ins Fremde, wo ihn alles liebt.
»das Ich verlernt … mit der Geliebten … zu zwein«
In den Duineser Elegien: … »das Schöne ist nichts als des Schrecklichen Anfang, den wir noch gerade ertragen…weil es gelassen verschmäht, uns zu zerstören«
Hier gibt es eine poetische Nähe zu Novalis – Tod und Leben – sie kann, doch muss nicht Heimat bedeuten, während Heimat als Tiefendimension jenseits aller möglichen Erfahrung und daraus keine theoretische Erkenntnis abzuleiten ist.
Schon zwei Monate vor dem Fall der Mauer durfte mein erster Band mit Gedichten in dem Land erscheinen, in dem ich das Heimatdenken verlernte. Zu dieser Zeit lebte ich bereits im Ostberliner Exil. Mein Bedürfnis, so etwas wie ein literarisches Zuhause in der Öffentlichkeit, ohne mich zu verbiegen, wenn man konsequent den Weg der Sprache geht, war mir nicht möglich.
Was mir trotzdem Leben und Schreiben erleichterte, war zum Teil das Weichbild der Großstadt, das flache Hinterland, das der Nähe zur Ostsee entsprach. Ich konnte mir eine gewisse Anonymität einbilden. Auch wenn ich wusste, dass man der staatlichen Kontrolle ausgeliefert war. Außerdem war diese Art von Stadt und Menschen für die Frau, mit der ich lebte, ein angemessener Standort zum Arbeiten. Man könnte sagen, für sie war Berlin eine geteilte Heimat. Nach dem Bau der Mauer war eine Hälfte für sie dicht. Getrennt von den Großeltern und ihren sozialen Kontakten war nun der östliche Teil Berlins ihr zuhause. Die Schule in Berlin West konnte sie nur bis zur 11. Klasse besuchen.
Das Phänomen der Unfassbarkeit alltäglicher Begriffe, die alles andre als präzise definiert werden können und ein Quell von Missverständnissen, sind leider nicht intersubjektiv eindeutig. Woran die Printmedien und was dazu gehört auch nicht ganz unschuldig.
Meist wird vermittelt oder der Anschein erweckt, die Flüchtigen, freiwillig oder durch Krieg, wären heimatlos, nur entwurzelte Landbewohner. Auch sie kommen aus großen Städten und bevor sie geflüchtet ein Gefühl von Heimat hatten.
Wenn zum Beispiel Flüchtlinge in Deutschland eine neue Heimat suchen, ist längst nicht geklärt, was mit diesem Begriff gemeint ist. Denn Endgültiges ist für die Betroffenen noch nicht entschieden. Wie sollte das auch anders sein.
In solchen Situationen ist Vorsicht geboten. Der gegenwärtige sprachliche Umgang mit Heimat ist leichtfertiger als jeder rechtskonservative oder auch ein linker, spröder Umgang mit diesem Begriff. Zurück bleibt bestenfalls der Tango als Heimat in Argentinien. Ein Objekt von Sehnsüchten. Es zeigt sich in der Verortung die eigentliche Heimat in einer fernen, vergangenen Zeit.
Auffällig ist, dass man die Heimat mit Blick auf unsre Geschichte nur als eine Geteilte begreifen kann. Heimat, ein Spielball der Macht: Teile und herrsche. Man sagt ihr ein kurzes Leben nach, wird aber mit jeder neuen Generation wieder geboren und nach Bedarf okkupiert.
Wir können feststellen, dass mehrheitlich schon in der antiken Literatur, eingeschlossen ihre Mythen, Heimat eine Domäne der Männer war und von der deutschen Klassik, der Romantik bis zur Moderne sich auch nicht viel geändert hat.
Homer erzählt, wie sich das männliche Besitzdenken verändert, indem Odysseus Penelope, gewonnen im Wettkampf, aus ihrem Besitz in sein Eigentum gebracht. Ein klassisches Beispiel: Die Frau folgt dem Mann mit allen Konsequenzen.
Während eine noch zeitnah weibliche Stimme, Christa Wolf, in »Kein Ort nirgends« schreibt in einem fiktiven Gespräch zwischen Kleist und Günderrode, dass sich beide als »Fremdlinge« im eigenen Land fühlen. Eine andre Zeitzeugin, Herta Müller, lässt über Heimat keinen Zweifel. Es sei eine Verlogenheit und keineswegs identitätsstiftend.
Frage ich mich heute, was mir Heimat sagt, stelle ich fest, dass ich leer ausgegangen bin. Ja, ich hätte gern eine Heimat gehabt, eine in die ich vielleicht geflüchtet wäre (das berühmte hätte), es irrational zu sagen. Wenigsten eine Heimat ganz kurz gegen Wehmut und Schmerz. So aber konnte ich ein Fernweh entwickeln, das im Jetzt verwurzelt, und mein Hoffnungsschimmer ist heller als das Hinterteil eines Glühwürmchens.
Anders gesagt: Ich erlebe Heimat dort, wo ich lieben kann und unerwartet auch geliebt werde. Diese Art Heimat trägt mich. Werde ich älter und kälter wärmt sie mich.
Abschließend möchte ich den Dichter Jan Kuhlbrodt zitieren aus einem Text, erschienen im »Poet Nr. 9«, »Nachtrag in Frankfurt am Main«, der sich nicht implizit zum Thema Heimat äußert, aber aus meiner Sicht mit einem anderen Wort hierzu Wesentliches sagt.
»Der Text ist die Form geistiger Sesshaftigkeit, und die Beweglichkeit kehrt darin wieder als Wunsch. Als Traum. Als Utopie. Ich möchte sagen: nur als Utopie, denn nichts kann Beweglichkeit ersetzen, auch der Text nicht. Dass es angesichts eines Textes dennoch hin und wieder so etwas wie Glück gibt, liegt an der Transzendenz.«
ps: Vielleicht könnte man den Zweiflern und jenen, denen das Thema Heimat zu abgegriffen oder überstrapaziert erscheint sagen, dass Heimat immer zu kulturellen Fragen inspiriert. Alles Dingliche, das transportabel, einschließlich Kreatürliches hat eine Heimat gehabt und bekommt sie zum Wiedererkennen zurück.
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»Von Heimat zu Heimat – eine literarische Spurensuche« ist eine Reihe des Thüringer Literaturrates e.V. mit freundlicher Unterstützung der Kulturstiftung des Freistaats Thüringen.
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