Gelesen von Lutz Rathenow
Menschen im Vogtland
Monate vor seiner Ausbürgerung 1976 aus der DDR blätterte der Liedersänger Wolf Biermann in einer Jenaer Wohnung in der Anthologie »Auswahl 74. Neue Lyrik Neue Namen«. Es wurde auf den Schriftsteller Jürgen Fuchs gewartet und Biermann las so lange spontan aus der Sammlung junger Talente, von denen nicht nur Thomas Brasch, Bettina Wegner und Andreas Reimann schon etliche Schreib- und Hafterfahrungen hinter sich hatten. Der berühmte Sänger ergänzte die Beispielgedichte durch urteilsfreudige Kurzinterpretationen und schien selbst erstaunt zu sein, wen er in dieser personell gut bestückten Sammlung (was für das Periodikum nicht die Regel war) als größtes poetisches Talent erkannte: Gabriele Eckart.
Ich erinnere meine Verblüffung, da sie in unserem Arbeitskreis Literatur und Lyrik als zu schwärmerisch und DDR-naiv galt. Aber Wolf Biermann gab ein gutes Beispiel auch bei Texten Gleichaltriger im eigenen Land nicht nur politische Frechheitskriterien dominieren zu lassen. Seitdem hatte Gabriele Eckart einen kontrastreichen Lebensweg, der sie über eine Ausreise in den Westen schließlich in die USA führte. Dort lebt sie seit langem. Nun liegt ihr Buch »Vogtlandstimmen« vor, ein Roman in verschiedenen Monologen, alle im sächsischen Vogtland. Die Autorin selbst ist immer wieder punktuell in den Texten zu entdecken. In der dialogisch dargebotene Lebensgeschichte der Schriftstellerin Ingrid, die in Kanada wohnt (S. 226 ff) – als Fragende in den Monologen und mit stimmungsvollen, fast poetischen Einsprengseln. Sie transplantiert diese in andere Figuren hinein. So erzählt Trude anfangs: »Gardine aufziehen, Fensterflügel einklinken. Der Apfelbaum schält sich aus dem Dunkel. Wie mir das Glockenläuten fehlt! In meiner Kindheit jeden Morgen. Wie dann die Glocken ausgependelt und langsam verstummt sind.«
Der Tod spielt immer wieder eine Rolle, manchmal fast heiter, wenn Heinrich postum feststellt: »Jedenfalls, so schlimm ist Totsein gar nicht. Kein Durst, kein Hunger. Und nichts tut mehr weh.« Liebevolles und kleine Boshaftigkeiten wechseln sich ab. Als Brigitte von Tante Liesbeth etwas von der Krebserkrankung Friedos erfährt, fragt sie, was beim Besuch mitgebracht werden soll. Nach kurzem Zögern erbittet die Tante einen Stöpsel für das Bad: »Mir hatten in der DDR so schiene Stöpsel fürs Woaschbecken, gibt’s die bei eich noch irschendwu?« Hat der Westen keine Stöpsel? »Hoa, scho, aber der is su ä Metallding, das iech neidrückenmuss, gieht schwer und es schließt net richtisch.« Es stimmt, die Gummistöpsel in der DDR saugten sich fester an. Was lästig sein konnte, aber auch Lästiges wirkt in seiner Vertrautheit erinnerungswert.
Immer wieder wie in diesem Zitat durchzieht der Dialekt Gedanken und Sätze, eine Leistung des Buches. Die in der DDR oft vorzufindende trotzige Anpassungsbereitschaft war im Vogtland besonders trotzig. Dieser Sprach-Eigensinn legitimiert den Titel. Die eingestreuten Dialogpassagen wirken beliebiger wenn sie die DDR allgemein betreffen. Dem einen wird zuviel von ihr die Rede sein, andere verstehen auch so die Hintergründe nicht ausreichend. Spannend und oft unerwartet sind Bezüge, in denen Nazizeit, Nachkrieg und DDR zu einer Ereignisreihe werden. Der eine sieht in der Nazizeit im Wald eine illegale Parteiversammlung der KPD, denunziert nicht und wird von den Genossen in der DDR später in Ruhe gelassen. Auch Adelbert kommt nach seinem Tod als Stasimann noch zu Wort, schon in der Wehrmacht spürte er als Funker Widerstandskämpfer in Dänemark auf. Sein Kommentar zu seinem Wirken in der DDR? »Der Jagdtrieb … selbstständig gemacht hatte er sich in mir.Ich brauchte die Adrenalinschübe.« Der letzte Monolog ist ein Kunstgriff, der alle Lebensgeschichten aus der Perspektive einer Katze zusammenführt. Sie kennt alle und hat für die Familienmitglieder ihre eigenen Namen. Der Text kehrt zur Leichtigkeit seines Anfangs zurück.
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