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Ulrich Kaufmann
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projektes der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Harald Gerlach
Schiller in Volkstedt
Vom Lieblingssitz im Hang des
Mühlbergs: rechterhand die Phantasie
malt sich Charlottes Bettstatt,
jungfräulich, verborgen hinter Schloß
und Stadtkirche;
absehbar liegt
linkerhand das aufgezwungne Domizil
in bukolischer Idylle, die jeden
Gedanken, eh er aufzufliegen weiß,
unter kompostwarmer Fürsorge erstickt.
In Frankreich, hört man, machen sie
Geschichte. Hier nur Porcellan
in bescheidner Manufactur.
Ich weiß, ich wollte. Aber
was? Die Not des Leibes treibt in
in Arme, die sich irgendwann mir
öffnen. Schleunige Flucht rät
der darbende Geist.
Und nirgends
EIN WEG fort vom verhassten Sitz
im Hang des Mühlbergs, unter demselben
Blau, über dem nämlichen Grün
gefangen im Sandstein, tief genarbt
von aeolischer Erosion. Fortdauernd.
(1991 /1998)
Das Gedicht »Schiller in Volkstedt« enthält in Keimform fast schon den Plan zu einer Wanderung von Volkstedt nach Rudolstadt: Harald Gerlach lebte von 1989–1991, also in der »Wende« – Zeit, in einer Volkstedter Neubauwohnung, in der Breitscheidstr. 117. Volkstedt ist ein Rudolstädter Vorort, der 1923 eingemeindet wurde. In der heutigen Breitscheidstr. 98 finden sich Schriftzüge, die auf eine Porzellanmanufaktur verweisen. Auch von ihr ist in obigem Gedicht die Rede.
Im übrigen lässt Gerlachs Formulierung in der Eingangsstrophe, wonach sich »Charlottes Bettstatt« »verborgen hinter Schloß und Stadtkirche« (Verse 3–5) befunden habe, vermuten, dass er beim Schreiben noch den »Heißenhof«, das alte Domizil der Lengefelds, nahe der Ludwigsburg, vor Augen hatte. Die Witwe Lengefeld mit ihren Töchtern Caroline und Charlotte, Schillers späterer Ehefrau, zog jedoch bereits 1776, somit zwölf Jahre bevor Friedrich Schiller in die Saalestadt kam, in das »Beulwitzsche Haus«, das heutige »Schillerhaus«, ein.
Schillers erstes Quartier in Rudolstadt war das zentral gelegene Gasthaus »Güldene Gabel«, Eckhaus Schillerstraße 1. Eine Tafel erinnert daran. Wenig später konnte Charlotte von Lengefeld für Schiller bei dem Lehrer und Kantor Unbehaun ein Quartier in Volkstedt besorgen, das im Zweiten Weltkrieg vernichtet wurde. Eine Gedenktafel in der heutigen Breitscheidstr. 76 erinnert an Schiller. Der Zufall wollte es, dass Harald Gerlach fast 200 Jahre später in der gleichen Straße wohnte.
In seiner Rudolstädter Zeit hat Friedrich Schiller an der Studie »Geschichte des Abfalls der Niederlande«, an dem Roman »Der Geisterseher«, an den Briefen zu »Don Carlos« sowie an den Gedichten »Die Götter Griechenlands« und »Die Künstler« gearbeitet.
Als Harald Gerlach 1994 in Weimar den Ehrenpreis der Deutschen Schillerstiftung entgegennehmen konnte, sagte er: »Wer wie Schiller eine Zeit in Volkstedt gelebt hat – und ich weiß, wovon ich rede – , dem drängt sich eine Ahnung auf, welcher Kraftaufwand nötig sein mag, gegen die geistige Ödnis deutscher Provinz einen Entwurf wie das große Gedicht ‚Die Künstler’ zu setzen.«
Abb. 1-4: Fotos: Jens Kirsten, Abb. 5: Foto: Bettina Olbrich.
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