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Bernd Ritter
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Schloss Kochberg, gut 30 km südlich von Weimar gelegen, ein Kleinod in der Kulturlandschaft Thüringens, mit Liebe und Herzblut uns Heutigen bewahrt – hinweg über Jahrzehnte von Gleichmut und Vergessen. Schloss Kochberg, ein romantisches Wasserschlösschen, dereinst (seit 1733 Eigentum derer von Stein) als Landsitz genutzt. Ein Refugium? Für Goethe? Für Cibulka?
Der Dichter und Tagebuchschreiber Hanns Cibulka, am 20. September 1920 in Jägerndorf, in Böhmen, in der damaligen CSR, einem Vielvölkerstaat, geboren, Weltkriegsteilnehmer, litt ein Leben lang am Verlust der Heimat, blieb immer Fremder in der neuen thüringischen Heimat. Er schrieb einmal: »die Landschaft, in der ich geboren bin, schwingt in mir mit, ein Rhythmus, den man nicht in Worte fassen kann.«
FRANZ SCHUBERT
STREICHQUARTETT D‑MOLL
SCHERZO
Dunkelblau
an der Hauswand
die Trauben,
ein Wiener Scherzo
im Spalier.
Komm,
sagt Liebe zur Liebe,
die Welt ist nur ein Spiel,
nimm sie nicht ernst.
Hol dir die Bluse
aus dem Schrank,
den Taftrock
schwarz,
auch die Gottesmutter
geht nach Grinzing
zum Tanz.
Tausendschön
zieh deine Kleider aus,
wenn es dunkelt,
ist es zu spät.
Noch in seiner letzten Veröffentlichung »Späte Jahre« (2004, Reclam Leipzig) fragte er: »Wer war es, der mich aus meiner Heimat vertrieben, aus dem königlichen Böhmen, dem mährisch-schlesischen Altvatergebirge?« Und:»Die Gestalten, von denen ich träume, kommen durch das Mauerwerk, durch die Decke, die Wand. Sie kommen mit einem Blumenstrauß in der Hand, gehen durch das Zimmer, nehmen vom Bücherbrett ein Buch, schlagen es auf, sehen mich an.«
Cibulka war also aus Gotha gekommen und hatte sich das »Hohe Haus« im Vorland des Thüringer Waldes für einige Wochen als Domizil gewählt. Er unternahm Ausflüge in die Umgebung und in die Historie des Ortes. Da blieben Erinnerungen an eigenes Erleben nicht aus. Im 2. Weltkrieg begegnete Hanns Cibulka dem polnischen Mädchen Halina. Eine unerfüllte Liebe. Halinas Spuren verloren sich in den letzten Kriegstagen.
»Was war es also, das mich nach Kochberg trieb? Das Schloss? …Oder waren es die Liebesbriefe, die ein deutscher Dichter vor zweihundert Jahren an seine Freundin nach Kochberg schrieb?« In »Liebeserklärung in K.« schreibt Cibulka:
Am Ostausgang des Dorfes, quer zu der Straße, hinter einer Wallgrabenbrücke rückt plötzlich das Schloss ins Blickfeld. Seinem Charakter nach ist es weder eine Ritterburg mit Bergfried und Zugbrücke noch ein feudaler Prunkbau. Die Anlage ist nicht sehr groß, der älteste Teil, das Hohe Haus, wurde gegen Ende des 14. Jahrhunderts erbaut. In diesem Haus wohnte Charlotte von Stein.
Das Anwesen wäre heute vergessen, wenn die Herzoginmutter Anna Amalia nicht von ihrer Hofdame, der Freifrau von Stein, Charlotte Ernestine Albertine – seit Jahren verheiratet mit dem herzoglichen Oberstallmeister Josias von Stein und Mutter seiner sieben Kinder, von denen vier schon früh gestorben waren -, wenn also Anna Amalia nicht erwartet, gefordert, befohlen (?) hätte, ihre Vertraute möge sich des skandalösen Heißsporns aus Frankfurt am Main annehmen, um in in seinem Sturm und Drang zu bändigen.
Die Sache ging gründlich daneben. Der um sieben Jahre jüngere Goethe, sich seines Ruhmes als Verfasser des »Werther« nicht minder bewusst wie der Freundschaft des Herzogs Carl August von Sachsen-Weimar, war tatsächlich jener »liebenswürdige und bezaubernde Mann, der noch jeder Frau gefährlich werden konnte«, vor dem die sittsame Gattin des herzoglichen Oberstallmeisters Josias von Stein gewarnt worden war.
Am 6. Dezember 1775 besuchte Goethe Charlotte von Stein zum ersten Mal in Großkochberg. Über die Freifrau von Stein schreibt Zimmermann an Lavater: » Ihre Stimme ist sanft und bedrückt. Ernst, Sanftmut, Gefälligkeit, leidende Tugend und feine, tiefgegründete Empfindsamkeit sieht jeder Mensch beim ersten Anblick in ihrem Gesichte. Die Hofmanieren, die sie vollkommen an sich hat, sind bei ihr zu einer sehr seltenen hohen Simplizität veredelt..Sie ist einige dreißig Jahre Alt, hat sehr viele Kinder und schwache Nerven. Ihre Wangen sind sehr rot, ihre Haare ganz schwarz, ihre Haut italienisch wie ihre Augen. Der Körper mager; ihr ganzes Wesen elegant…«
Ihre anfänglich abweisende und wohl dosierte Strenge sollte sich als denkbar ungeeignet erweisen, das Genie zur Vernunft zu bringen. Das Gegenteil war der Fall: Goethe glaubte, die Liebe seines Lebens gefunden zu haben. Am 24. Februar 1776 schrieb Goethe an Charlotte: »All mein Vertrauen hast du, und sollst so Gott will auch nach und nach all meine Vertraulichkeit haben. O hätte meine Schwester einen Bruder irgend wie ich an dir eine Schwester Habe.«
10 Jahre währte die Liaison zweier verwandter Seelen. Über die Innigkeit und Sinnlichkeit der Beziehung rätselt die Nachwelt bis heute. Goethe soll erst im Januar 1788 in Rom, in seinem 40. Lebensjahr, zum ersten Mal mit einem Mädchen geschlafen haben. Die Leute wissen, was sie glauben wollen.
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