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Volker Müller
aus: Volker Müller, Piranhas für den Ehemann. Essays, Aufsätze, Betrachtungen (II), Engelsdorfer Verlag, Leipzig 2022. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Literarischer Reiseverführer
Wiedergelesen von Volker Müller
Zehn Leute, ein großer Bottich, Farbtöpfe, Paletten –, das Foto zeigt keine geräumige Malerwerkstatt, sondern ein Wohnzimmer um 1900 in Ostthüringen. »Familie bei Heimarbeit für die Porzellanindustrie« lautet der Bildtext. Die Aufnahme stammt aus dem 2008 im Erfurter Sutton Verlag erschienenen Band »Im Schwarzatal — ein Reisebericht aus dem Jahre 1901«.
Der Band ist nicht nur eindrucksvoll bebildert. Auch der Text hat es in sich. Sein Autor, Karl Emil Franzos, geboren 1848 im österreichisch-ungarischen Galizien (heute Ukraine) und gestorben 1904 in Berlin, war schließlich zu Lebzeiten ein bekannter, mit allen Wassern gewaschener Journalist und Schriftsteller.
So geht bei ihm die Erkundung der als zauberhaft und wechselvoll beschriebenen Landschaft gern mit einer weiteren beherzten Erforschung des schönen Geschlechts einher. Bei der Ersteigung des Trippsteins lässt der Autor den dreiköpfigen weiblichen Anhang eines augenscheinlich tatkräftigen sächsischen Verlegers aus dem Nähkästchen plaudern, wobei Sprach-Raritäten wie »Dehdegdiff-Roman« und »bardheilos« zu Tage kommen. In den Wäldern um Katzhütte trifft der Wahlberliner »zwei blutjunge Dinger«, die allerlei natürliche Schönheitsmittel anpreisen, die Frage nach einer möglichen eigenen Anwendung aber keck kontern mit: »Wenn Se glauben, dass mer’s nötig haben dhäten!«
Von dergleichen Episoden wimmelt das Buch, aber auch Arbeit und Alltag kommen nicht zu kurz. Köhler, Forstarbeiter, Flößer, Holzsammler, Müllerburschen werden porträtiert und das Leben auf dem Dorfe schillert immer wieder in den schönsten Farben: »Fast vor jedem Haus wird geplaudert; das Lachen hört selten auf und das Kosen schon gar nicht.«
Franzos führt den Leser auch in die Fürsten- und Zeitgeschichte, liefert prächtige Beispiele für die Auswüchse der Kleinstaaterei wie für die besonderen Schwierigkeiten, die die Sozialdemokratie auch damals schon im grünen Herzen Deutschlands hatte. Dass dem Galizier einiges zum kapriziös-frechen Heine wie auch zum versonnenen Sprachzauberer Fontane fehlt, lässt sich auf Dauer nicht übersehen. Aber es fehlt eben oft wirklich nicht viel.
Ein so unterhaltsames wie lehrreiches Buch, bestens geeignet zur entspannenden Lektüre wie als handlicher Begleiter beim Wandern. Und der Band macht Appetit auf mehr. Karl Emil Franzos hat bekanntlich auch noch andere Teile Thüringens wie übrigens auch Sachsen-Anhalts mit dem Notizbuch in der Tasche durchstreift.
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