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Anne Gallinat
Thüringer Literaturrat e.V. / Die Reihe »Gelesen & Wiedergelesen« entstand mit freundlicher Unterstützung der Thüringer Staatskanzlei.
Wiedergelesen von Anne Gallinat
Aber die Schuldigen sind nicht die Kinder. Die Schuldigen sind wir.
Das lässt Kurt Held in seinem Jugendroman »Die rote Zora und ihre Bande« (1941) einen Fischer am Ende des Buches sagen. Vor dem Magistrat und dem Bürgermeister des kleinen kroatischen Städtchens Senj verteidigt der Fischer Gorian mit diesem Satz die Kinder einer Diebesbande, die in der Stadt Senj ihr Unwesen treibt. Mitglieder der Bande sind Kinder, fast schon Jugendliche, 13 bis 14 Jahre alt, die sich völlig selbst überlassen sind. Die jugendlichen Kinder stehlen, um zu überleben. Sie stehlen, um ihren Hunger zu stillen. Für sie geht es um die nackte Existenz. Niemand steht ihnen bei. Im Gegenteil…
Der Autor Kurt Held (eigentlich Kurt Kläber) ist gebürtiger Jenaer, musste 1933 aus Deutschland vor den Nationalsozialisten in die Schweiz emigrieren. Von dort aus unternahm er mehrere Reisen nach Kroatien, kam auch in das kroatische Städtchen Senj, in dem er Kontakt zu einer Kinderbande fand, deren Führung ein rothaariges Mädchen übernommen hatte. Der Kontakt zu den Jugendlichen war so eng und persönlich, dass er sie am liebsten bei sich aufgenommen hätte. Aber auch Kurt Held konnte gerade so die Existenz seiner Familie sichern. Er hätte die Bandenkinder nicht mit ernähren können. Aber er beschloss, diese Begegnung in einem Buch für Jugendliche zu verarbeiten.
Hauptfigur ist der Junge Branko. Sein Vater ist Geiger, der durchs Land zieht und in Touristenhotels und Kneipen mit seiner Geige aufspielt. Branko kennt ihn kaum. Er sieht seinen Vater höchstens einmal im Jahr. Branko lebt mit seiner Mutter, die in der Tabakfabrik in Senj arbeitet, in einem kleinen Zimmer gemeinsam mit einer anderen Tabakarbeiterin. Doch die Mutter ist krank. Durch den Tabakstaub in der Fabrik hat sie die Schwindsucht bekommen. Wer krank ist, verdient nichts und kann keine Miete zahlen. Nicht einmal für ein Bett in einem kleinen Zimmer. Als die Mutter stirbt, wird Branko von dem Vermieter einfach auf die Straße gesetzt. Er solle doch zur Hexe Kata gehen, die eigentlich seine Großmutter ist. Zu ihr sagt Branko: »Ich habe noch niemals gestohlen.«
Die alte Kata antwortet darauf: »Du wirst es schon noch lernen. Die Hungrigen stehlen alle.« Kata schickt den Jungen wieder auf die Straße. Von nun an hat Branko nichts und niemanden mehr. Schon gar kein Geld. Branko wird als Dieb verhaftet und ins Gefängnis gesperrt, obwohl er gar nicht gestohlen hat. Aus diesem Gefängnis befreit ihn die rote Zora. Sie ist wild und geschickt und klug. Sie mag Branko. Und nimmt ihn in ihre Räuberbande auf.
Zoras Bande hat sich in einer alten verlassenen Burg versteckt. Es ist eine geheimnisvolle Burg mit einer abenteuerlichen Vorgeschichte. Einst hat dort der Stamm der Uskoken regiert und war berühmt-berüchtigt dafür, dass er mit seinen Schiffen vor der kroatischen Küste kreuzte, Schiffe der Reichen überfiel und ausraubte. Sie verschenkten das Diebesgut an Arme. Zoras Bande sieht sich in der Tradition und Nachfolge der Uskoken. Sie stehlen nur, was sie zum Überleben brauchen. Trotzdem werden sie gesucht und verfolgt wie schwergewichtige Verbrecher.
Aber Fischer Gorian erkennt, dass die Jugendlichen nur aus Not stehlen. Er beschäftigt sie bei seinen Fischfängen mit kleinen Arbeiten und bezahlt sie dafür. Aber letztlich ist auch Gorian in Not. Eine große Fischereigesellschaft kauft die Fanggründe der Fischer auf, setzt die kleinen Fischer massiv unter Druck… Sicherlich wirkt aus heutiger Sicht und mit dem historischen Wissen von heute Kurt Helds Philosophie manchmal ein bisschen naiv.
Trotzdem ist das Buch nicht nur spannend, sondern hochaktuell, angesichts der Tatsache, dass in den Wirtschaftsmetropolen der Gegenwart die Kluft zwischen Arm und Reich immer größer wird. Und die Betroffenen sind oft Kinder und Jugendliche, die durch Not in die Kriminalität getrieben werden. Selbst in einem reichen, wirtschaftlich starken Land wie Deutschland wird die Kinderarmut immer größer. Armut – ein Armutszeugnis für unsere Gesellschaft. Noch heute hätte Fischer Gorians Satz »Aber die Schuldigen sind nicht die Kinder. Die Schuldigen sind wir« seine Gültigkeit.
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