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Martin Straub
Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Friedrich Hölderlin
Hälfte des Lebens
Mit gelben Birnen hänget
Und voll mit wilden Rosen
Das Land in den See,
Ihr holden Schwäne,
Und trunken von Küssen
Tunkt ihr das Haupt
Ins heilignüchterne Wasser.
Weh mir, wo nehm ich, wenn
Es Winter ist, die Blumen, und wo
Den Sonnenschein,
Und Schatten der Erde?
Die Mauern stehn
Sprachlos und kalt, im Winde
Klirren die Fahnen.
Diese drei Schlusszeilen aus Hölderlins »Hälfte des Lebens«. Wieso bleiben sie in mir hängen und verfolgen mich von Jugend an, in Zeiten, wo ich so gut wie nichts von diesem Dichter wusste? Warum nicht die Verse der ersten Strophe: »Mit gelben Birnen hänget / Und voll mit wilden Rosen / Das Land in den See,«. Wahrscheinlich ist es so, dass lyrische Bilder oder Zeilen auf bestimmten Lebenssituationen treffen müssen, um haften zu bleiben. Ich jedenfalls sehe mit diesen drei Schlusszeilen meine Nachkriegs- Heimatstadt Dresden vor mir. 1943 geboren, wandert das zerstörte Dresden in meinem Leben mit. Die schwarzen zerschlagenen Sandsteinmauern. Die Stadt war tot, kalt und dunkel. Später die riesigen geräumten, öden Flächen. Wenn ich in den 50er Jahren zwischen Hofkirche und Schloss durchging, konnte ich bis zum Hauptbahnhof sehen. Noch heute begleitet mich an diesem Ort dieser Blick. Bis ich in die Kreuzkirche komme und den alten Stadtgeruch in der Nase habe.
Über eine Zeile rätselte ich: »im Winde / klirren die Fahnen«. Es war nicht der Zeilensprung, das Enjabement, wie ich später sagen lernte. Wieso kann eine Fahne klirren? Das starre gefrorene Tuch? Erst später wurde mir bewusst, es sind die metallenen Wetterfahnen, alt und verbogen, die im Winde klirren. Und ich sah die kaputten Dächer der Stadt. Eine Stimmung breitet sich aus: Trostlosigkeit. Nein, nicht jetzt. Nicht in Jena, meiner zweiten Heimat seit Mitte der 60er Jahre. Wenn ich heute durch die Zwätzengasse nach Hause laufe, denke ich höchst selten, wenn überhaupt, an Hölderlin. Detlev Ignasiak erinnerte jüngst an das Haus in der Zwätzengasse 9. »Die Mauern stehn / sprachlos und kalt«, diese Verse sind an Dresden gebunden, an eine Jugendstimmung. An Weltschmerz, ich weiß, ein abgegriffenes Wort. Es war beileibe nicht das vorherrschende Gefühl. Es gab glückliche Zeiten in dieser Stadt. Natürlich die erste Liebe mit all ihren Entdeckungen und Konflikten. Doch immer wieder, wenn ich an der Elbe zu Hause bin: kommen diese drei Zeilen. Es ist die Erinnerung an die »wüste Stadt«, die den Ton vorgibt. Und natürlich jenes Requiem von dem Kreuzkantor Rudolf Mauersberger, das zur Wiedereinweihung der Dresdner Kreuzkirche 1955 uraufgeführt wurde. Da war ich 12 Jahre alt. Später dann, im selben Jahr, hörte ich das erste Mal die Matthäus-Passion. Und sang den Cantus firmus mit: »O Lamm Gottes unschuldig am Stamm des Kreuzes geschlachtet / allzeit erfunden geduldig / wiewohl du warest verachtet«. Die Kirche war kalt, nüchtern, roh verputzt, und roch nach alten Wintersachen. Am Eingang die Wundmale am Sandstein. Diese Bilder sind geblieben.
Und dann gibt es mit Hölderlin noch eine Erfahrung, freilich viel später. Das ist der Gang in die Natur. Die Erfahrung, dass man erst den Berg rauf muss, um die Aussicht zu genießen, eine freie Sicht. Hölderlin unter dem »Gleichberggewölk« (H.Gerlach) Das kam durch Harald Gerlach in den Sinn. Heute lese ich Wulf Kirstens »Hölderlin auf dem thüringischen Olymp« in thüringisch-fränkischer Grabfeldlandschaft und Harald Gerlachs lyrisches Kapitel »Hölderlins Ätna« in dem Band »Nirgends und zu keiner Stunde«. Das geht einher mit den Jenaer Erfahrung des Ausdauerläufers, die dazu beitrug, Krisen zu überwinden. Das Alleinsein mit der Natur, das Heraustreten aus den auch selbst verschuldeten engen Räumen, das tiefe Durchatmen in der Stille, der Geruch des Waldes. »Wildnis«. Der Begriff mag hier stehen für eine Befreiung von zivilisatorischer Entfremdung. Man hört anders auf sich inmitten der Natur, und man denkt auch anders über die Zerstörung der Natur. Mit dieser Jenaer Erfahrung kam die Landschaftslyrik von Harald Gerlach, Wulf Kirsten, Hanns Cibulka, Thomas Rosenlöcher in den Blick, die sächsische Dichterschule um Mickel, Braun und Czechowski. Später vor allem die Gedichte von Daniela Danz. Das mag sehr verkürzt klingen. Aber ich sehe diese Lyriker schon in einer Nachfolge von Brockes, Haller, dem jungen Goethe und Hölderlin. In den Sinn kommen die sorbischen Dichter wie Kito Lorenc oder Roza Domaszyna, mit ihrem Blick auf die »Unlandschaft« (H.Gerlach) des Braunkohleabbaus, in dessen Folge die alten Siedlungsstrukturen zerschlagen wurden.
»Kein Hölderlin-Hymnus / auf die Natur, / die Herzwand verkarstet, / zauberkundig / die Polypenarme der Chemie, / vom Anblick der toten Fische«, lesen wir im »Lagebericht III« in Hanns Cibulkas »Swantow«. Kisten schreibt: »eine Stimme rudert über den fluß: / fährmann hol über ! / der schweiger beugt sich ins dunkel ./ ertrinkende stille, / strudel inmitten, / fische bäuchlings und phenol«. Volker Braun klagt an: »Hier sind wir durchgegangen / Mit unseren Werkzeugen // Hier stellten wir etwas Hartes an / Mit der ruhig rauchenden Heide // Hier lagen die Bäume verendet, mit nackten / Wurzeln«. Freilich am Schluss nimmt Braun dieser Erbarmungslosigkeit die Schärfe und spricht vom »weißen neu geborenen Strand«. Aber all diese Dichter fragen ja auch mit Hölderlin nach einer Sprache, mit der sich das Gedicht in einer solchen Welt behaupten kann. Ob es sich behaupten kann. Die Naturvernichtung schafft neue Wüstungen. Auch Sprachverwüstungen. In seinem Gedicht »das dorf« verflucht Kirsten mit geballter Ladung die »flurbereiniger« und »landschaftsausräumer«. Es endet mit den Zeilen »alles versunken! verschlungen / vom reißwolf des fortschritts«.
Ihrem jüngsten Band gibt Daniela Danz den Titel »Wildniß«. Und sie beschwört und fleht mit Hölderlins Begriff, sie möge über uns kommen und unsere Wünsche überwuchern. In einer seelenlosen Zivilisation mit ihren Raketen, Mülltrennungssystemen und Zahlungsverpflichtungen. »Nur lass die Igel übrig mit ihrem Schnaufen«. Und sie bedenkt wie eine erbarmungslose Brandschatzung der Natur neue Verödungen schafft.
Der heimatliche Boden zwischen Jena und Dresden ist brüchig geworden. Ich spür das mehr als zuvor. Und frage mit der Lyrikerin aus Kranichfeld sich auf Walter Jens berufend, wie ist das nun mit uns und Hölderlins großer Hoffnung, dass sie, diese unsere Heimat zur Herberge des Humanen wird, ein »großes Voraus« als »utopischer Besitz«. (Walter Jens) Gerlachs Schlussstrophe von »Hölderlins Ätna« lautet:
»Aufgipfelnd den taufrischen Berg, dunkel
Vor steigender Aureole, Hölderlin entfaltet
Die Kartographie, eine Zuflucht vor dem
Wirklichen: nach Osten
der Thüringer Wald, nach Westen mein liebes
Schwaben. Waltershausen ist versunken im Aufflug
der Phantasie. So beschrieb ich am liebsten
die beiden Hälften der Welt
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