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Jens-F. Dwars
Erstdruck in: Palmbaum 2/2022, S. 33-37.
Jens‑F. Dwars
Absurd, peinlich oder genial?
Zum 250. Geburts- und 200. Todestag von Herzog August von Gotha
Er war das schwarze oder vielmehr bunte Schaf der Herzöge von Sachsen-Gotha-Altenburg: Emil Leopold August, im November 1772 geboren und im Mai 1822, mit noch nicht mal 50 Jahren, bereits verstorben. Sein Vater war Ernst II. (1745–1804), der Gotha zur zweiten Blüte nach Ernst dem Frommen verholfen hatte. Als pflichtenstrenger und zugleich liberaler Herrscher hob er in bester protestantischer Tradition das Gemeinwohl, förderte das Bildungswesen, die Wirtschaft, das Theater, die Kunstsammlungen, die Bibliothek und vor allem die Naturwissenschaften. Gotha war, mit seinen 10.000 Einwohnern, bis 1800 der europaweit gerühmte Spitzenreiter der sächsischen Herzogtümer in Thüringen, nicht das Mu-
sendorf Weimar, wo man noch das Vieh durch die Gassen trieb.
Sein Sohn übernahm einen bestens eingespielten Betrieb und überließ das Regieren zunehmend den dafür zuständigen Ministern, sachkundigen Fachleuten, die, vom Vater ausgewählt, sich seit Jahren bewährt hatten. Während die Beamten die Ordnung wahrten, widmete der Herzog sich dem Außerordentlichen, dem Extraordinairen: „Luxus, Kunst & Phantasie“ – wie eine jüngst eröffnete Ausstellung überschrieben ist, die noch bis 19. Februar 2023 im Herzoglichen Museum von Gotha läuft.
August liebte schöne Kleidung aus feinsten Stoffen, auch Frauenkleider, in denen er durch die Gänge des Schlosses schwebte, selbst bei Empfängen trug er Shawls, bunte Tücher und sündhaft teure Parfüms. Er hasste alles „Männische“ und schrieb Frauen, sie sollten eine Schwester in ihm sehen. Offizielle Schreiben unterzeichnete er mit August, privat wollte er Emile genannt sein – und von Freunden Emilie. Als Herzog hätte er traditionell das Heer seines Landes ins Feld führen sollen, wie sein Standesgenosse Carl August von Sachsen-Weimar das gegen Napoleon tat. Aber August verhehlte nicht, was er von Kriegen hielt: nichts. Die Menschenschlächterei war ihm zuwider. Dennoch verehrte und liebte er Napoleon, der ganz Europa zur Ader ließ. Allerdings sah er in ihm den Stifter einer neuen Ordnung, die auf freier Selbstbestimmung des Einzelnen beruht und um derentwillen die alte Ordnung der Adelsprivilegien fallen müsste. Titel zählten für ihn weniger als Talente und Fähigkeiten. Deshalb verließ er sich auf die Berater seines Vaters und deshalb förderte er, wie sein Vater, Talente in Wissenschaft und Kunst. Die Gothaer Ausstellung und ihr Katalog belegen, wie konsequent und erfolgreich Vater und Sohn die Ägypten-Expeditionen des Forschungsreisenden Ulrich Jasper Seetzen finanzierten und damit eine der größten Sammlungen von Artefakten der Pharaonenkultur ihrer Zeit in Gotha bargen. August erweiterte die ethnografischen Sammlungen durch Ankäufe von Objekten aus dem Orient (darunter wertvolle arabische Handschriften) und Kunsthandwerk des alten China. In alledem spiegelte sich freilich auch sein eigenes Interesse am Exotischen und Extravaganten. Das unterschied ihn von seinem Vorgänger, und so kaprizierte er sich auf eine ganz eigene Sammlung von Fächern aus aller Welt und ließ Paradiesvögel allein wegen der Schönheit und Seltenheit ihres Gefieders ausstopfen.
Selbst ein Paradiesvogel, verstand er sich offenbar als Künstler auf dem Thron. So malte und komponierte er, und mehr noch ließ er andere nach seinen Ideen malen und komponieren. Großzügig hatte er die Schulden von Carl Maria von Weber bezahlt, der jedoch im Gegenzug nicht nur seine Gedichte vertonen, sondern spontane Einfälle des Herzogs sogleich auf dem Klavier in Melodien umsetzen musste. Maler und Komponisten hatten ihn auf seinen Wanderungen zu begleiten, um das Erlebte in Bildern und Tongemälden festzuhalten. Vor allem aber schrieb oder vielmehr diktierte er: Gedichte, Märchen und Romane, die allesamt über Entwürfe nicht hinauskamen.
Bis auf eine Ausnahme: das Buch Ein Jahr in Arkadien von 1805. Der Untertitel Kyllenion war in griechischen Buchstaben gesetzt, das Ganze eine Schäferdichtung nach antikem Vorbild. In lyrischer Prosa, mit Gedichten durchsetzt, werden Liebesbeziehungen miteinander verwoben, von denen sich eine durch alle zwölf Kapitel, den Monaten entsprechend, hindurchzieht: das Verlangen des „feueräugigen, lieblichen Julanthiskos“ nach dem „Koryphant Alexis mit seiner göttlichen Eburgestalt, in welcher männliches Ebenmaas und jungfräulicher Mildreiz mit erhabener Einfalt und ruhiger stolzer Kälte unbegreiflich schön zusammen schmolz“.
Die Zeitgenossen konnten mit all dieser Lieblichkeit, dem Ach und Weh von mehr beschworenem als wirklich erzähltem Liebesfreud und ‑leid wenig anfangen, denn wirkliche Geschichten mit wirklicher Handlung lebendiger Gestalten gibt es in dem Buch kaum. Umso erstaunlicher, wie präzise der Autor den Alltag seiner Griechen benennt: Den wenigsten seiner Leser dürfte der Begriff Koryphant vertraut gewesen sein, der den Anführer eines Tanzes meinte. Allein auf Seite 9 wird mit Tympanen (Tamburine) und Crotalen (eine Art Castagnetten) aufgespielt, trinkt man Melikrama (Wein mit Honig), genießt Galaktaphron (Milchschaum) und reicht Pemmata (Confect) in Kalathisken (Körbchen). August (oder sein Verleger Frommann in Jena?) erläutert, übersetzt all diese Worte in einem Anhang. Doch das alles beweist nur, wie fremd die antike Alltagswelt selbst den humanistisch Gebildeten in der Zeit der Klassik blieb. Die korrekte Verwendung dieser Fremdwörter allein genügt nicht, um in die Welt ihres alltäglichen Gebrauchs einzuführen. Was fehlt, ist ihre atmosphärische Verdichtung: das eigentlich Literarische, für das blumige Attribute und Liebesschwüre herhalten müssen – Kitsch als Ersatz.
So war und blieb August ein Dilettant im besten Wortsinn: ein Liebhaber der Künste, der sich darin gefiel, sie wie Kleider auszuprobieren – ohne an sich selbst, an seinem Sprachvermögen zu arbeiten. Dabei hätte sein Herangehen produktiv sein können: In jeder historischen oder historistischen Erinnerung bemächtigt sich eine Gegenwart des Vergangenen, sie bedient sich ihrer wie eines Kostüms im Theaterfundus. August aber erinnert nicht nur an die Antike, er versucht, sie zu vergegenwärtigen, sie in ihrer Alltäglichkeit zur Sprache zu bringen. Und dabei gerät auch die Liebe von Männern zu Männern in den Blick, die freilich Plato schon lange vor ihm als klassisches Bildungs-Ideal gepriesen hat: die Erziehung ungestümer Jünglinge durch reifere, lebenserfahrene Männer. Man wusste das, als historisches Wissen, aber sprach nicht davon, Homoerotik galt den christlich Gebildeten um 1800 bestenfalls als eine zeitbedingte Verirrung, allgemein als Sünde wider Gott und die Natur und juristisch als zu bestrafendes Verbrechen gegen geltende Gesetze.
Das ist der Punkt, an dem die bislang umfangreichste Studie über August von Gotha einsetzt, die in diesem Jahr in einem Privatverlag, in der Edition Peregrini von Reimund Frentzel erschienen ist. Während andere vom „peinlichen Herzog“ sprechen, dessen extravagantes Auftreten für manch heimlich unheimlichen Eklat gesorgt hat, nennt Olaf Brühl sein 500-seitiges Buch August der Glückliche.
Die deutsche und zumeist männliche Geschichtsschreibung habe ihn dem Vergessen oder, schlimmer noch, dem Verlachen preisgegeben, weil er nicht ins Muster des autoritären Herrschertyps passe. Brühls Grund-These: Emil August habe einer „tragikumwitterten Generation“ angehört, die, im Geist von Aufklärung, Französischer Revolution und klassisch humanistischer Ideale erzogen, am Ungeist von Restauration, Biedermeier und Nationalismus zerbrochen sei – wie Kleist und Hölderlin. Daher Augusts Begeisterung für Napoleon, die ihn nach dem Wiener Kongress ins Abseits gestellt habe. Seine Verweigerung der Herrscher-Rolle, allen militärischen Strebens nach Gebietserweiterung und Rangerhöhung, sei einmalig gewesen, seine positive, nicht diffamierende Schilderung homoerotischer Liebe im Arkadien-Roman eine „einzigartige kulturelle Leistung“, die 150 Jahre vorausgreife.
In alledem folgt Brühl dem Literaturwissenschaftler Paul Derks, der bereits 1985 Kyllenion als Reprint im Westberliner „Verlag rosa Winkel“ herausgegeben und kommentiert hat. Es ist schon erstaunlich, dass diese Wiederentdeckung des schreibenden Herzogs fast 40 Jahre lang in der Literaturgeschichte selbst Thüringens keine Folgen hatte. Doch der Ehrenretter des Unterschätzten übertreibt maßlos, wenn er behauptet, der „männlichkeitsprotzende Nationalismus und dessen prüden Gelehrten“ hätten aus ihm die Karikatur eines „Undeutschen“ gemacht, mehr noch: man habe die Einnerung an diesen „Friedensfürsten“ in den „Gaskammern deutscher Gelehrsamkeit“ (S. 39) auslöschen wollen. Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, das nüchtern kritische Abwägen der wirklichen Lebensleistung des Mannes durch Überlagerung mit einem Berg anderer Probleme gerade verunmöglicht.
Allzuoft arbeitet Brühl mit Unterstellungen, so zuletzt mit der Spekulation, ob der Herzog nicht von seinem Schwiegersohn vergiftet wurde. Tatsächlich starb er an einer bis heute ungeklärten Erkrankung des Unterleibes, die im Mai 1822 nach seiner Rückkehr aus Coburg ausbrach und ihn in wenigen Tagen dahin raffte. Ernst von Sachsen-Coburg hatte Augusts Tochter Luise mehrfach betrogen, brachte sie nach ihrer Scheidung um ihr Erbe und riss das Gothaer Herzogtum an sich. Doch für die Mordthese bräuchte es ein paar Beweise oder wenigstens Indizien mehr.
Für einen Film freilich wäre das ein dramaturgisch auf‑, weil anrührendes Ende. Und an einen Film hatte der Autor zunächst gedacht, als er sich in den 1990er Jahren des Stoffes annahm. Das ist der Unterschied seines Buches zur Ausstellung und dessen Katalog: Während letztere sich um Objektivität bemühen, ist ersteres bekennend subjektiv. Und das ist vielleicht der Extrovertiertheit und dem offenkundigen Narzißmus des Herzogs angemessen. Brühl zitiert, was Zeitgenossen über August bezeugt haben: seinen provokanten Witz, der boshaft und beleidigend sein konnte. Berechtigt mag das noch in vielen Fällen von Standesdünkel und höfischem Zeremoniell gewesen sein. So entsandte er einmal einer vornehmen Dame, die stolz darauf war, den Herzog in ihrem Haus empfangen zu dürfen, in seiner eigenen Kutsche einen stadtbekannten Taubstummen in ärmlicher Kleidung. Als sich ein andermal der Hofstaat zu einem Fest versammelt hatte, ging der Herzog von einem zum anderen und flüsterte jedem mit bedeutsamer Miene etwas ins Ohr. Nach dem Fest verrieten sie einander, was er ihnen anvertraut hatte: „Eins, zwei, drei!“ dem ersten, „Vier, fünf, sechs!“ dem zweiten und so fort. So hatte er dem wichtigtuerischen und doch leeren Hoftreiben den Spiegel vorgehalten. Weniger sympathisch waren seine Witze auf Kosten anderer. So ein vermeintliches Rätsel: „Was ist das für ein Ding: sein erstes ist ein großes Gewässer, sein zweites ein kleines Gewässer und dennoch ist das Ganze der Inbegriff alles Trockenen?“ Gemeint war ein Herr von Seebach, der sich tief gekränkt von der Tafel entfernte.
Die Malerin Louise Seidler nannte den exzentrischen Herzog das „größte Original seiner Zeit“, Goethe dagegen fand ihn „angenehm und widerwärtig zugleich“. Mit Bangen habe man eine Einladung zu seiner Tafel angenommen, da nie vorauszusehen war, „welchen der Ehrengäste er schonungslos zu behandeln zufällig geneigt sein möchte“. Seinen Geist habe er bewundert, doch fühle der Herzog nicht, wenn er andere verletze. Und so werde „jedermann irre an ihm“.
Man wünschte sich eine kleine Materialsammlung mit Texten des Herzogs und über ihn, nebst einer biografischen Einleitung. Vielleicht entsteht demnächst ein solches Buch im Nachgang einer Tagung, die vom 23.11. bis 25.11.2022 im Forschungszentrum Gotha, Schloßberg 2, stattfinden wird: Emil/Emilie: Herzog August von Sachsen-Gotha – Fürst, Literat und Kunstkenner mit fluider Geschlechteridentität. Das klingt freilich arg akademisch …
Öffnungszeiten der Gothaer Ausstellung bis 19. Februar 2023:
Di bis So 10–17 Uhr (ab November 10–16 Uhr)
Katalog zur Ausstellung:
Luxus, Kunst und Phantasie – Herzog August von Sachsen-Gotha-Altenburg als Sammler. Sandstein Verlag Dresden 2022.
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