Paul Alfred Kleinert: »Ein ›österreichischer Schriftsteller‹ im Brandenburgischen« – Franz Fühmann in Märkisch Buchholz

Person

Franz Fühmann

Thema

Gelesen & Wiedergelesen

Autor

Klaus Bellin

Erstdruck in: Palmbaum 1/2022. Alle Rechte beim Autor. Abdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Klaus Bel­lin

Schreib­platz unter Kiefern 

 

 

Wer ihn das erste Mal in Mär­kisch Buch­holz besuchte, bekam vor­her eine genaue Weg­be­schrei­bung. Man würde ihn sonst nicht fin­den. Das Häus­chen, in dem er lebte und arbei­tete, stand mit­ten im Wald. Ringsum fast nur Kie­fern. Keine Straße, kein Zaun, nichts, woran man sich ori­en­tie­ren konnte. Der Weg führte durch den Ort auf einen Plat­ten­weg, vor­bei an einer Hüh­ner­farm, dann ein Wald­weg, Sand, Schlag­lö­cher, irgend­wann das Schild »Orts­ende« (»aber das störe euch nicht«), also wei­ter, immer wei­ter, auch wenn nun jeder den­ken musste, da könne doch kein Mensch woh­nen. Links schließ­lich eine Villa (»die ists nicht«), end­lich Reste eines Beton­pfei­ler­zauns, »dahin­ter liegt ein Häus­lein klein«, kaum sicht­bar. »Dort sitzt der Aso­ziale an sei­ner Maschine«, schrieb Füh­mann im Herbst 1977 an Mar­ga­rete Hanns­mann, die sich mit HAP Gries­ha­ber ange­kün­digt hatte, »vor ihm eine Plas­tik von Wie­land Förs­ter, an der Wand ein biß­chen Goya und Berg­werk, und im Kopf Öde, und im Her­zen Trauer. Dort klopft ihr an und wenn ein schö­ner Tag ist, gehen wir in die Pilze.«

Frü­her lud er meist in seine Ber­li­ner Woh­nung am Straus­ber­ger Platz. Frü­her, da war Füh­mann noch der wuch­tige Mann mit dem run­den Schä­del, der wackere Kul­tur­funk­tio­när einer Block­par­tei und Natio­nal­preis­trä­ger, Ver­fas­ser der ver­film­ten Novelle »Kame­ra­den« und der Repor­tage »Kabel­kran und Blauer Peter«, den sie 1964 zur zwei­ten Bit­ter­fel­der Kon­fe­renz geschickt hat­ten, damit er sich dort das wei­tere Rüst­zeug für die künf­tige Arbeit hole. Doch da war er schon auf dem eige­nen Weg, weg vom Dog­ma­tis­mus, dann auch vom Alko­hol und von der Lei­bes­fülle, um eines Tages, zur Ver­blüf­fung selbst guter (manch­mal auch erschro­cke­ner) Freunde, als ein ande­rer wie­der­zu­keh­ren, als hagere, aske­ti­sche Erschei­nung. Der Lebens­mit­tel­punkt wurde mehr und mehr Mär­kisch Buchholz.

Paul Alfred Klei­nert hat dem Hun­dert­jäh­ri­gen aus dem Sude­ten­land, der gute drei Jahre am Jesui­ten­kon­vikt bei Wien zuge­bracht hat, jetzt das 70. Heft der Frank­fur­ter Bunt­bü­cher gewid­met. Es führt, schön illus­triert, in die mär­ki­sche Ein­sie­de­lei, erzählt, wie Füh­mann sich hier sein Refu­gium schuf, wie er dort lebte und arbei­tete, im Dorf zunächst als der selt­same Fremde bestaunt, der stets in voll­ge­stopf­ten Beu­teln Bücher und Obst trans­por­tierte, mal zu Fuß, mal auf dem Fahr­rad. Klei­nert, Schrift­stel­ler, Über­set­zer und Her­aus­ge­ber, ist Mit­be­grün­der des inter­na­tio­na­len Franz-Füh­mann-Freun­des­krei­ses, der sich rüh­rend und mit gro­ßem Ein­satz darum küm­mert, dass die­ser sin­gu­läre Schrift­stel­ler, von dem Christa Wolf sagte, dass er »sich immer neu von Grund auf in Frage stellte«, nicht aus dem Bewusst­sein der Nach­welt ver­schwin­det. Er war eine unüber­hör­bare Stimme der DDR-Lite­ra­tur und hatte in der DDR seine Leser und Bewun­de­rer. Ver­legt (und geschätzt in klei­nen Zir­keln) wurde er auch im Wes­ten, aber hei­misch gewor­den ist er dort nie, leicht erkenn­bar an den wech­seln­den Ver­lags­na­men Dio­ge­nes, Wagen­bach, Luch­ter­hand, Suhr­kamp, Hoff­mann und Campe.

Ber­lin war Füh­mann zu laut. Er kriege dort keine Luft, meinte er, und werde zu oft gestört. Hier, mit­ten im Wald, sei er mut­ter­see­len­al­lein: »Dort habe ich kein Tele­phon, kein Auto und in den sel­tens­ten Fäl­len Besu­cher. Dort arbeite ich, wie ich arbei­ten muß: Im Schnitt stehe ich gegen halb sechs Uhr auf und arbeite bis um 15, 16 Uhr hart am Manu­skript.« Er war anspruchs­los: »zwei Zim­mer­chen, eine Koch­stelle, ein hal­ber Kel­ler, das Klo­häusl drau­ßen. Einen Brun­nen habe ich mir gra­ben las­sen – mehr brau­che ich nicht.« Neben dem Haus gab es eine Blech­ga­rage, da hatte er die wich­tigs­ten Bücher unter­ge­bracht, und dort stand auch der Tisch, an dem er spä­ter schrieb. Auf die rie­sige Biblio­thek (heute in den His­to­ri­schen Samm­lun­gen der Ber­li­ner Zen­tral- und Lan­des­bi­blio­thek in der Brei­ten Straße auf­ge­stellt) musste er hier frei­lich verzichten.

Schrei­ben, ein Werk schaf­fen war für Füh­mann ein »abso­lu­ter Wert«, dem er alles unter­ord­nete: Fami­lie, Freunde, die eigene Gesund­heit. Unglaub­lich, ja unfass­bar, mit wel­cher Ener­gie und Kon­se­quenz, mit wie­viel eiser­ner Dis­zi­plin, nach­zu­le­sen in den Brie­fen, er seine Fron­ar­beit an der Schreib­ma­schine ver­sah, vom frü­hen Mor­gen manch­mal bis in die Abend­stun­den, sogar bei Eises­kälte. Seit Neu­jahr säße er hier drau­ßen, schrieb er am 11. Januar 1979 an Mar­lies Menge, und es sah böse aus: »knie­tief Schnee, 20 Grad minus, und nur 2 Eimer­chen Kohle, und der große Holz­sta­pel tief im Weiß, und dann fraß der Ofen Holz …, das kann man sich nicht aus­den­ken, was das Ding frißt, wenn man nur mit Holz heizt … Und dann pas­sierte was Schö­nes, es sprach sich rum …« Erst kam der Pas­tor, dann die Gärt­ners­frau, dann die Leh­re­rin, und alle brach­ten ihm Kohle, und auch die Schule gab noch von ihrem Vor­rat ab. Er war geret­tet und fand es »wirk­lich rührend«.

Nichts konnte ihn aus sei­ner Ein­öde ver­trei­ben, nicht die Düsen­jä­ger, die über sei­nen Kopf hin­weg­don­ner­ten, und auch Wet­ter­ex­treme nicht. An hei­ßen Tagen hatte er die Füße in einer Was­ser­schüs­sel und um den Kopf ein feuch­tes, küh­len­des Tuch, bei grim­mi­ger Kälte tippte er in Decken gehüllt und mit eis­kal­ten Fin­gern, weil er ohne fri­sche Luft nicht exis­tie­ren konnte. Und wenn dann nach fünf Tagen viel­leicht eine Seite geschafft war, die womög­lich noch den Ein­druck machte, als könnte sie sei­nen kri­ti­schen Anfech­tun­gen wider­ste­hen, war schon viel gewon­nen. »Ich sitze jetzt die 7. Woche am 2. Teil von mei­nem Trakl-Essay«, heißt es 1978, »hatte in den ers­ten Tagen ca. 14 Sei­ten, und bin seit­dem eigent­lich damit beschäf­tigt, sie wie­der ein­zu­rei­ßen und weg­zu­schmei­ßen. Jetzt bin ich rück­wärts auf S. 2 und habe noch das stolze Gefühl, daß S. 1 steht, aber das wird wahr­schein­lich über­mor­gen auch dahin sein.«

Immerzu die­ser qual­volle Kampf mit den Sät­zen, der nie ermü­dende Wille, dem eige­nen Anspruch gerecht zu wer­den, ver­knüpft mit bit­te­ren Nie­der­la­gen, wenn er mit einem Vor­wort oder sei­nem Berg­werk-Pro­jekt nicht zu Rande kam. Und gleich­zei­tig die wuchern­den Zwei­fel, ob sich all die Schin­de­rei über­haupt lohne. Aber noch zuletzt, im Kran­ken­haus, gezeich­net von meh­re­ren Ope­ra­tio­nen, griff er, kaum aus der Nar­kose erwacht, nach sei­nen Papie­ren und machte weiter.

Klei­nert hat umsich­tig und kennt­nis­reich alles zusam­men­ge­tra­gen, was über Füh­mann, sei­nen Arbeits­platz im Wald, seine Inten­tio­nen, seine Bücher, die Stra­pa­zen, die er auf sich nahm, den Ein­satz für junge Dich­ter, seine Rigo­ro­si­tät, sein Enga­ge­ment für geis­tig Behin­derte und den Wider­stand gegen staat­li­che Repres­sio­nen nach der Bier­mann-Aus­bür­ge­rung zu sagen ist. Und der Ver­lag für Ber­lin-Bran­den­burg, der die schöne Reihe des Kleist-Muse­ums in Frankfurt/Oder her­aus­gibt, ver­schafft dem sym­pa­thi­schen Bericht mit vie­len, zum Teil sei­ten­gro­ßen Fotos eine wun­der­bare Anschau­lich­keit. Lose ein­ge­legt ins Heft ist das Fak­si­mile eines unver­öf­fent­lich­ten Füh­mann-Brie­fes an Anke Knie­per vom 26. Mai 1981. Das Schrei­ben ent­hält auf zwei Sei­ten eine aus­führ­li­che Weg­be­schrei­bung, gar­niert mit einer in Rot und Schwarz gehal­te­nen Skizze.

 

  • Paul Alfred Klei­nert: Ein »öster­rei­chi­scher Schrift­stel­ler« im Bran­den­bur­gi­schen – Franz Füh­mann in Mär­kisch Buch­holz, Frank­fur­ter Bunt­bü­cher 70, hg. vom Kleist-Museum, Frankfurt/Oder, Ver­lag für Ber­lin-Bran­den­burg, 32 Sei­ten, Bro­schur mit Schutz­um­schlag, 8 EUR
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