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Literarisches Thüringen um 1800
Jürgen M. Paasch
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
1801 endet Wielands glücklichste Zeit in seinem Osmantinum, auch weil er es finanziell kaum noch halten kann. Auch Schiller gibt in diesem Jahr sein Jenaer Gartenhaus auf, ebenso Goethe sein Gut in Oberroßla. Wieland immerhin hält noch aus auf dem Gut, aber er denkt an Verkauf. Auch andere Sorgen treiben ihn, Ludwig, der älteste Sohn, war schon als Student in Jena auf die Seite der Romantiker gewechselt, erkannte den Vater nicht mehr an als Dichter und dieser bezichtigte ihn des literarischen Jakobinismus. 1801 und 1802 in Thun in der Schweiz gerät Ludwig in ernsten Konflikt mit den Anti-Helvetikern, den Gegner der Schweizer Republik, die er mit anderen beförderte und die sich immerhin gute vier Jahre in einem nicht kleinen Landesteil behauptete. Nun wird er des Landes verwiesen – mit Heinrich von Kleist. Ludwigs Ambition, selbst Schriftsteller zu werden und den Vater in diesem Handwerk zu übertreffen, wird in einem Dichterwettstreit zwischen ihm, Kleist, Heinrich Geßner und Heinrich Zschokke, alle in ähnlichen politischen Schwierigkeiten und allesamt Jakobiner in des alten Wielands Sinne, noch einmal angefacht. Kleist wird aus diesem Wettstreit mit dem Lustspiel Der zerbrochene Krug hervorgehen.
Ludwig schreibt Erzählungen und Dramen – den poetischen Erstling, Erzählungen und Dialogen von 1803, hatte der Vater bei Göschen in seinem Hausverlag herausgegeben – und nun auch immer mehr Briefe an den Vater, die dem Alten Sorgen bereiten und Bekenntnisse entlocken wie dieses: Weißt Du auch was Schriftstellerei, als Nahrungszweig getrieben, an sich selbst, und besonders heut zu Tag in Deutschland ist? Es ist das elendeste, ungewisseste und verächtlichste Handwerk, das ein Mensch treiben kann – der sicherste Weg im Hospital zu sterben. Wielands Haltung begegnet hier nicht zum ersten Mal, sie gehört von Anfang an zu seiner Dichtung und mehr noch zu seinen Briefen: Selbstverachtung als Kehrseite der Verletzlichkeit als Autor – zwei Seiten eines Wesenszuges. Die Kunst zu schreiben ist… in unseren Tagen ein elendes Handwerk geworden, eine Arbeit der Finger, wozu genausoviel Geist erfordert wird als zum Wollespinnen. …Jetzt schreibt man, um sich gedruckt zu sehen, oder weil es Mode ist, oder weil einem die Finger jucken, oder weil man sonst nichts zu tun weiß. Ja, die Meisten treibt der Hunger oder eine schändliche Gewinnsucht; und weil sie nichts Nützliches gelernt haben, so sind sie Schriftsteller. Wieland fasst an anderer Stelle zusammen, um sich nur ja deutlich auszudrücken: wer sonst nichts in der Welt kann und seinem Leibe keinen Rat weiß, schreibt ein Buch. Die Schreiber dieser Art lässt Wieland nicht als Poeten gelten, nicht einmal als mittelmäßige Poeten und was er von denen hält, sagt er jedem, der es hören will: Ein mittelmäßiger Poet, er sei dazu geboren oder nicht, ist ein elender Poet, und ein elender Poet ist das elendeste unter allen elenden Elendigkeiten unter dem Monde. Letztlich empfiehlt er dem Sohn mit sorgenvollem Nachdruck, was er auch schon anderen jungen Dichtern mit weniger Anteilnahme zu bedenken gab: Untersuchen Sie Sich selbst genau, ob Sie im Schoße Ihrer liebe Muse allenfalls auch bei einer Mahlzeit von Kartoffeln und Brunnenwasser glücklich sein können. Und zum Hausgebrauch: Ein Poet sein ist schon soviel als einen oder zween Sparren zuviel haben.
Caroline Flachsland, Herders spätere Ehefrau, lernte Wieland früher kennen als all die späteren Weimarer, und was sie an ihm schon 1771 entdeckte, bestätigen mehr oder weniger alle nach ihr: Nur seinen Autorstolz und Eitelkeit, die er in ziemlicher Dose besitzt, möchte ich von ihm wegwischen. Christian Felix Weiße ist weniger zärtlich. Er ist so voll von sich selbst, daß man, um seine Gewogenheit zu haben, nichts thun, als ihn bewundern muß, und er lobet sich gleichwohl selbst so sehr, daß er einem zu seinem Lobe etwas zu sagen, nicht viel übrig läßt. Johann Anton Leisewitz, aus der ihn ablehnenden Fraktion zwar, aber dies allein muss noch nichts heißen, man denke nur an Lenz und Klinger, ist unversöhnlich.
Ich bin ein paar Stunden bei Wieland gewesen – mag ihn aber nicht weiter kennen. Einen so elenden Mann von so großen Talenten habe ich noch nicht gesehen. Man würde Eurem Geschlecht Unrecht tun, wenn man seine Eitelkeit weibisch nennte, sie ist mehr als kindisch! Er hat nur 2 Gegenstände, von denen er spricht, das ist er und Wieland.
Und auch Jean Pauls Wohlwollen macht ihn nicht blind für Wielands offensichtliche Schwäche. Ich war bei Wieland… und liebte sein leichtes spielendes, bescheidenes und doch selbstrühmendes Wesen immer mehr. Für beide Wesenszüge, den Poetenverächter im Allgemeinen und den Gläubigen in eigener Sache, ließen sich noch dutzende Beispiele anführen und doch kaum schlüssige Erklärungen finden. Mit Dialektik könnte man es versuchen oder sich an Arno Schmidt halten, dessen Verehrung für den vorausgegangenen Kollegen ihn Erklärungen für Wielands Eitelkeit finden lassen wird, die nicht ohne Komik sind. Man vergesse doch ja nie, wird Schmidt mahnen, dass man den Dichter nur in Stunden der Erschöpfung kennen lerne: im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte pflegt er nämlich an Büchern zu arbeiten! Eigenlob als Erschöpfungssymptom. Der Autorenwunsch, durch die Injektion des Lobes immer wieder versichert zu werden, dass die grausam entsagungsvolle Arbeit nicht umsonst ist, klingt immerhin bedenkenswert und wird plausibel, wenn man unterstellt, dass im Lob doch auch Sympathie mitschwingt, ein Lebenselixier dieses auf Mitfühlen angewiesenen Mannes.
Wielands Hypersensibilität schließlich ergänzt das Bild seiner Persönlichkeit und auch für sie gibt es Belege und Andeutungen aus allen Lebensphasen. Die Flachsland bemerkt, dass er oft außergewöhnlich kalt in die Gesellschaft trete, andererseits spreche er ziemlich viel, insonderheit wenn er Laune hat. Sein Temperament beschreiben die Zeitgenossen stets als befremdlich wechselhaft, der kleine Körper sei meist in feuriger Gebärde, ein Leben und Denken unter Hochdruck, dass allenfalls zwischen allegro und furioso oszilliere, ein blitzartig arbeitendes Gehirn, das sich im Feuerpulver seiner Prosa austobt. Wieland besitzt keinerlei auream mediocritatem, vielmehr, erkennt wieder einmal Goethe, verbringt er sein ganzes Leben in extremis. Er ist nervös, wie nur je ein Intellektueller; zappelig im Kaffeerausch oder in Wielands eigenen Worten: Das Ängstliche, Ungeduldige, Trippelnde, Imaginative habe ich ganz von meiner Mutter. Die Maschine ist äußerst empfindlich und muss genauestens eingestellt werden. Eben habe ich den Barometer angesehen. Er ist noch um keine Linie gestiegen; immer noch 27 Zoll. Da kann mir’s mit meiner Arbeit nicht gelingen. Ich brauche allerwenigstens 27 Zoll 6 Linien!
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