Personen
Anna Amalia v. Sachsen-Weimar-Eisenach
Ort
Thema
Literarisches Thüringen um 1800
Gerhard R. Kaiser
Thüringer Literaturrat e.V. / Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Literatur und Lebenswelt: Der Tiefurter Park ist auf die vielfältigste Weise literarisch geprägt: als Landschaftsgarten, dessen Gestaltung durch imaginär aufgeladene antike Orte wie »Arkadien«, »Tempe« und »Tibur« inspiriert wurde und bei dessen Gestaltung man sich auch von zeitgenössischen literarischen Vorbildern wie Rousseau leiten ließ; als frühe Stätte von Anna Amalias geselligem Kreis und des aus ihm hervorgegangenen Journal[s] von Tiefurt; als Ort schließlich einer schon zur ersten Blütezeit einsetzenden, im 19. Jahrhundert fortgeführten epigraphischen Memorialkultur wie auch als Sujet retrospektiver poetischer Vergegenwärtigungen. Unter diesen ragen die in »Kunst und Altertum« abgedruckten Stanzen des Kanzlers Müller anlässlich des Weimar-Besuchs des bayrischen Königs Ludwig I. im Jahr 1827 heraus. Sie beschwören das Dreigestirn Anna Amalia (»Olympia«) – Wieland – Herder und wurden von Goethe, dem letzten großen Überlebenden der Tiefurter Blütezeit, in Fortführung der schon früh einsetzenden Historisierung seiner eigenen Person ausdrücklich gutgeheißen und befördert:
TIEFURT
Und still entzückt so hehren Bund zu schauen,
Erhebt die Muse ihren Zauberstab,
Dem Königsblick soll frisch sich auferbauen,
Was ihre Huld je diesen Thälern gab.
Wo sie gewaltet, grünen ew’ge Auen,
Sie kennt kein Scheiden, kennt kein düst’res Grab,
Und immer neu im Wechsel der Gestalten
Will sie das Schöne dauernd uns erhalten.
Sie ruft den Chor idyllisch heit’rer Stunden
Aus Tiefurts Hain und IHN verklärt herauf,
Der um Olympien den Kranz gewunden,
Den unverwelklichen im Zeiten-Lauf;
Und JENEN – reinstem Priesterdienst verbunden –
Ein Morgenstern glänzt er uns ewig auf,
Der hellen Blicks der Völker Nacht durchdrungen,
Uns ihrer Stimmen Lust und Leid gesungen.
Zusammenfassend kann man zu den Tiefurter Inschriften festhalten: Nach anfänglichem Zögern wandte sich Anna Amalia, die zwar nicht als Verfasserin hervortrat, doch als Herrin über Schloss und Park das entscheidende Wort zu sprechen hatte, vom superlativischen Latein Villoisons ab; an empfindsame, gereimte deutsche Verse, die sie selbst noch für Ettersburg in Übereinstimmung mit Hirschfelds Vorschlägen gewählt hatte, dachte sie für Tiefurt nicht mehr. Statt dessen bevorzugte sie die antik inspirierten deutschen Metren des Hexameters, des Distichons und der sapphischen Odenstrophe sowie einen epigraphischen Lakonismus, sowohl bei den persönlicheren als auch den auf die allgemeinen Lebensmächte und den auf die spezifischen örtlichen Gegebenheiten des Tiefurter Ilmbogens bezogenen Inschriften. Dabei kam Goethe als Autor der Verse auf dem Amor- und dem Wieland-Denkmal wie auch als Verfasser der Inschrift auf dem Constantin-Kenotaph, möglicherweise auch des Distichons im oberen Lohhölzchen die zentrale Rolle zu. Es ist naheliegend, dass der schlichte Nachname auf dem Herder- und die zugespitzt lakonischen Worte auf dem Mozart-Monument ebenso wie die Matthisson-Verse nicht ohne seine Billigung gewählt wurden, hat er sich doch noch nach dem Abklingen seiner frühen Inschriften-Begeisterung für die Tiefurter Denkmäler interessiert und, wie der Constantin-Kenotaph zeigt, aktiv in ihre Beschriftung eingegriffen. Mit den Worten einer von Goethe selbst so überschriebenen Werkgruppe gesprochen, sind die Tiefurter Inschriften durchweg »antiker Form sich nähernd« gehalten. Es fehlt ihnen die tendenziell ins Beliebige führende serielle Tendenz, die durch Hirschfelds Beispielliste ebenso wie die inflationäre Seifersdorfer Praxis nahegelegt worden war. Sie wurden nicht »hingestreuet«, sondern sparsam und wohlbedacht gewählt und platziert. Für jedes Monument und jeden Stein suchte und fand man eine individuelle Lösung, wie etwa an der um einige Nuancen persönlicheren Note des Constantin- im Verhältnis zum Leopold-Denkmal oder in der Differenz der Verse im oberen Lohhölzchen und am früheren unteren Parkeingang abzulesen ist. Indem die Inschriften noch das schmerzlichste Gefühl in antikisierender Form, gegebenenfalls auch durch objektivierende mythologische oder zeitgeschichtliche Bezüge dämpfen, bilden sie in ihrer Ge- und Verhaltenheit ein spannungsvolles Gegengewicht zu dem fast durchweg persönlichen Charakter ihrer Anlässe und der besonderen Intimität des Tiefurter Ilmbogens, der einer empfindsamen Parkgestaltung Vorschub leistete. Wenn Petzold um 1850 die alten Monumente und Inschriften beließ, aber kein einziges neues Denkmal, keinen einzigen neuen beschrifteten Stein aufstellte, so ist das im ersten Fall nicht nur Pietätsrücksichten und im zweiten nicht nur eigenen ästhetischen Präferenzen geschuldet. Vielmehr stellt sich darin seine spezifische Idee für den Tiefurter Park dar, wonach die durch die natürlichen Gegebenheiten begünstigte Intimität um den östlichen Ilmbogen, in der auch Worte persönlicher Wertschätzung, Anteilnahme und Überzeugung Platz haben, bruchlos in Richtung der weiten, freien Natur geöffnet wird, die alles Geschichtlich-Besondere umgreift und daher frei von je ins Einzelne greifenden sprachlichen Zeugnissen bleiben kann und in den Augen Petzolds auch bleiben sollte.
Im Zusammenspiel von Inschrift, Stein oder Denkmal und Park zeigt sich eine besondere Form des Text-Bild-Verhältnisses, die größere Aufmerksamkeit als bisher verdiente. Für Tiefurt lässt sich sagen, dass Geschmack und Diskretion hier etwas schufen, das Maßstäbe setzte. Der seriell-plakative Charakter der heute auf dem Maria-Pawlowna-Weg von Tiefurt nach Kromsdorf – neuerdings auf sehr klobigen Sockeln – zu lesenden Goethe-Worte jedenfalls widerspricht nicht nur Petzolds Parkidee, sondern dem gerade von Goethe geprägten Ethos der Tiefurter Inschriften. In besonderer Weise gilt für das Distichon im oberen Lohhölzchen und die Matthissonsche Odenstrophe, was Michel Deguy, ein zeitgenössischer französischer Dichterphilosoph, so formulierte: le sens accompli, ou beauté du sens, est beauté des choses dans les mots, et réciproquement. La réciprocité même.
Abb. 1: Ansichtskarte, um 1900 / Abb. 2, 3: Fotos: Jens Kirsten.
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