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Literarisches Thüringen um 1800
Gerhard R. Kaiser
Thüringer Literaturrat e.V. / Alle Rechte beim Autor. Der Abdruck erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors.
Eine Sonderstellung unter den Tiefurter Inschriften kommt den Matthisson-Versen und den entweder von Goethe oder dem Goethe-Freund Knebel stammenden Distichen im oberen Lohhölzchen zu, weil beide in gesteigerter Weise den besonderen Anmutungsqualitäten des Parks im Ilmbogen entspringen.
Wenn man den Park heute, wie die meisten Besucher, vom Parkplatz neben Kammergut und Schlößchen aus betritt, sieht man, leicht nach links versetzt, einen schlichten Travertinstein mit der Inschrift
HIER WOHNT STILLE DES HERZENS, GOLDENE BILDER
STEIGEN AUS DER GEWÄSSER KLAREM DUNKEL
HÖRBAR WALTET AM QUELL DER LEISE FITTIG
SEGNENDER GEISTER
Darunter die Verfasserangabe: FRIEDR. v. MATTHISON
Die Inschrift, von der erstmals 1899 die Rede war , soll am früheren Eingang des Parks an der heutigen Busschleife, zu lesen gewesen sein.
Der Verfasser der Verse war lange in Vergessenheit geraten. Seine Wiederentdeckung, vermutlich erst 1956, dürfte zwischen 1957 und 1963 den Anstoß dazu gegeben haben, den Stein neben dem Schlösschen aufzustellen, wobei man mit der falschen Schreibung des Autornamens, der metrischen Änderung von »goldne« in »goldene« und der Platzierung weitab von der Ilm recht nachlässig und gedankenlos ans Werk ging, verweisen die Verse doch unmissverständlich auf das nahe Flüsschen.
Unter den Tiefurter Inschriften kommt Matthissons Versen auch insofern eine Sonderstellung zu, als sie, möglicherweise als einzige nicht von Anfang an dem Park zugedacht, einem größeren Textzusammenhang entnommen sind. Ursprünglich bilden sie die mittlere Strophe einer sapphischen Ode und können frühestens 1792, als Matthisson Knebel besuchte, bzw. 1794, dem Jahr des Erstdrucks, den früheren Parkeingang geschmückt haben. Der vollständige Text lautet in der ursprünglichen Fassung:
VAUKLÜSE.
1792.
Einsam grünender Ölbaum, der am wilden
Moosgesteine sich traurend hinbeugt, athme
Kühlung über den Fremdling; Sommergluten
Sprühte der Maitag.
Hier wohnt Stille des Herzens; goldne Bilder
Steigen aus dem [!] Gewässer klarem Dunkel;
Hörbar waltet am Quell der leise Fittig
Segnender Geister.
Fleuch, des Künftigen Traum! verwallt in Nebel,
Eitle Schattengebilde des Vergangnen!
Einen Tropfen der Lethe nur, und Psyche
Schauert vor Wonne.
In einer langen Anmerkung klärte Matthisson seine Leser durch ein französisches Zitat darüber auf, was es mit dem ersten Teil des Titels auf sich hatte.
Dass mit »Vauklüse« und dem »Quell« zugleich, auch ohne ihre Namen, Petrarca und Laura aufgerufen sind, daran ließ er keinen Zweifel. Immer wieder hatte er die beiden in seinen Gedichten heraufbeschworen, etwa in der Ode »Lauras Quelle«, der Petrarcas Verse
Chiare, fresche e dolci acque
Ove le belle membra [!]
Pose colei, che sola a me per donna,
Date udienza –
Alle dolenti mie parole estreme!
Wie aber ist zu erklären, dass für den Tiefurter Parkeingang noch um 1800 Verse eines so stark der Empfindsamkeit verpflichteten Autors wie Matthisson gewählt wurden?
Hans Christoph Buch hat die von ihm aus einer Werkausgabe von 1912 mit dem Titel »Vauklüse« wiedergegebene Ode auf Grund des Entstehungsjahres 1792 und des Verses »Am Strand der Seine tobt Gewittersturm« in dem 1792 veröffentlichten Gedicht Der Genfersee ein »doppelbödiges Idyll« genannt; der friedlich-stille Raum, den es evoziert, zeuge indirekt von den politischen Leidenschaften, deren der Dichter in Lyon auf der Reise zu Petrarcas Refugium ansichtig geworden sein musste. »Hinter der Naturidylle« lauerten »Tod und Vergänglichkeit«, »der harmonische Wohlklang der Poesie« diene als »Vergessensdroge, um die Schrecken der Vergangenheit und die Angst vor der Zukunft aus dem Gedächtnis zu tilgen«. »Vielleicht« sei dies der Grund gewesen, »warum Gottfried Benn das Gedicht besonders schätzte« und seinem Freund Oelze fast überschwänglich dankte für die Mitteilung der schönen Verse Matthissons mittlere Strophe, die heute in Tiefurt zu lesen ist, verschweigt mit dem Titel ihren ursprünglichen örtlichen und zeitlichen Bezug. Gleichwohl dürfte sie dem zeitgenössischen Leser durch das eingangs betonte deiktische »Hier«, in der die »Stille des Herzens«, die den Besucher ergreift, mit dem »leise[n] Fittig / Segnender Geister«, dem Auszeichnenden des Ortes, korrespondiert, dessen idyllisch-idealischen Gegencharakter und das Epiphanisch-Augenblickshafte seiner Erfahrung bewusst gemacht haben: Im »Hier« schwingt das »Dort«, die Welt jenseits Tiefurts, mit, die in den 1790er Jahren und den folgenden anderthalb Jahrzehnten durch leidenschaftliche Erregung und Schreckensbilder geprägt war. Unübersehbar zeugte davon in Tiefurt selbst, nur einige Hundert Meter weiter, die Inschrift auf dem Constantin-Kenotaph. 1806, nach Jena und Auerstedt, wurde auch Tiefurt geplündert.
Zwei Jahre nach Entstehung der Ode hat Schiller Matthisson, der ein zeitgenössischer Lieblingsdichter war, positiv rezensiert, dabei freilich einschränkend von den »bescheideneren Kreisen« gesprochen, in denen er bislang »seine Schwingen versucht« habe, und empfohlen, »einen kühneren Flug zu nehmen« und zu seinen Landschaften nun auch Figuren zu erfinden und auf diesen reizenden Grund handelnde Menschheit aufzutragen. In diesem Vorbehalt trifft er sich mit Goethes kritischem Blick auf die Empfindsamkeit allgemein und speziell auch auf Matthisson. In seinem Brief vom 31. 8. 1798 kommt Schiller ihm darin entgegen, indem er ihm zugesteht, dass die »Herren Conz, Matthisson und andern« »gewisse Stimmungen« Goethescher Gedichte aufnähmen, dabei aber als »moralische[] Gemüter« die »Mitte« selten träfen – und wenn sie menschlich werden, so wird gleich etwas Plattes daraus. Trotz dieser kritischen Einschränkungen ist es keineswegs ausgeschlossen, dass – sollten die Matthisson-Verse tatsächlich schon zur Zeit Anna Amalias am Parkeingang zu lesen gewesen sein – Goethe, der sich schon 1782 bei der Gestaltung der Entree im Garten und noch in den neunziger Jahren bei der Beschriftung des Constantin-Kenotaphs engagierte, dazu die Anregung oder wenigstens seine Billigung gegeben hat:
Die an die Antike angelehnte sapphische Odenform, der im »Hier« mitgedachte reflexive Vorbehalt und die bis ins Rhythmische reichende besondere Angemessenheit an den Ort könnten dabei bestimmend gewesen sein. Im Übrigen schätzte der Goethe-Freund Knebel Matthisson durchaus als Ratgeber in metrischen Dingen.
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