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Jens-Fietje Dwars
Die Exkursion entstand im Rahmen eines Projekts der Literarischen Gesellschaft Thüringen e.V.
Das Ringen des Pfarrsohns Nietzsche mit seiner Bestimmung
Wir gehen ca 150 Meter wieder die Lindenstraße zurück und biegen links neben einer Scheune in einen schmalen Weg ein, der uns über einen kleinen Bogen um Tautenburg zur Kirche führt. Während Nietzsches Aufenthalt wurde mit ihrem bau gerade begonnen, sie bietet jedoch die Gelegenheit, sich auf sein Leben und sein Verhältnis zum Christentum zu besinnen: Nietzsche wurde am 15. 10. 1844 als Sohn des Pfarrers von Röcken bei Weißenfels geboren – am Geburtstag des preußischen König Friedrich Wilhelm IV., von dem Nietzsches Vater persönlich sein Pfarramt erhalten hatte.
Aus Dankbarkeit tauft der Vater seinen Erstgeborenen auf den Namen des Königs. Und so wächst Friedrich Wilhelm Nietzsche als ein Königskind heran, dem jeder Wunsch vom Mund abgelesen wird. Doch 1848 erkrankt sein Vater, schreit vor Kopfweh, erblindet und stirbt 1849 an »Gehirnerweichung«. Nur wenige Monate später folgt ihm sein jüngster Sohn Joseph, der an Zahnfieber stirbt, ins Grab, und muss die Familie das Pfarrhaus verlassen. In Naumburg in einem rein weiblichen Haushalt zur Sittenstrenge erzogen, schreibt der Frühreife mit 11 Jahren erste Gedichte, in denen er die Erwachsenen fragt, was das für ein Gott sei, der ihm Vater, Bruder, Heimat raubt.
Doch alle loben nur die schönen Reime, keiner hört seinen Schrei. So lernt er früh, hinter der Maske der Anpassung radikal das Bestehende infrage zu stellen. Schon in der Eliteschule Pforta, wo er 1858 eine Freistelle erhält, formuliert der Gymnasiast 1862 sein erstes Programm, mit dem er versucht, das Gute als »subtilste Entwicklung des Bösen« und den freien Willem als »die höchste Potenz des Fatums« zu denken, als Jasagen zum Schicksal, um in freier Individualität sich selbst ein Gesetz zu geben (»Fatum und Geschichte«).
Nietzsche soll Pfarrer werden und sieht zugleich, dass 2.000 Jahre Christentum auf bedenklichen »Annahmen« beruhen, deren Hinfälligkeit zu »großen Umwälzungen« führen werde. Und so nimmt er in seinem Abschiedsgedicht von Schulpforta das Gesetz seines Lebens vorweg, indem er sich zu einem »unbekannten Gotte« bekennt:
Sein bin ich, ob ich in der Frevler Rotte
Auch bis zur Stunde bin geblieben:
Sein bin ich – und ich fühl’ die Schlingen,
Die mich im Kampf darniederziehn
Und, mag ich fliehn,
Mich doch zu seinem Dienste zwingen.
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