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Thüringen im literarischen Spiegel
Karl Emil Franzos
Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.
Das »Schweizerhaus«, wo der Weg nach diesem Rätsel abzweigt, ist die Wohnung eines Wildwärters, der durch eine stattliche Magd auch Bier und Milch ausschenken läßt, und diese Magd heißt – die Ästhetiker mahnen uns immer, in unsere Schilderungen durch Einzelheiten Farbe zu bringen, und ich sehe gar nicht ein, warum ich hier die Farbe sparen sollte, da ich sie zufällig auf der Palette habe – die dicke Kathrin. Als ich sie zuerst sah – der Omnibuskutscher hatte auch hier auf meine Gesundheit getrunken –, war sie sehr lustig, jetzt aber blickte sie ordentlich düster drein. Den Grund wollte sie mir nicht sagen, aber ehe ich aufbrach, fragte sie scheinbar unbefangen, ob ich denn schon die große Neuigkeit gehört hätte, von der alle Welt im Tal rede, der Kutscher habe sich mit dem Zimmermädchen vom »Chrysopras« bei Blankenburg verlobt. Ich wußte es noch nicht, aber nun verstand ich alles.
Bis zum »Schweizerhaus« sorgen eigentlich nur Fluß und Wald für die Abwechslung, Berg und Felsen bleiben sich an Höhe und Form ziemlich gleich. Hier aber beginnen sie jählings emporzuwachsen, und auch ihre Form und Farbe wechseln von Schritt zu Schritt. Das ist keine Übertreibung, denn es ist Tonschiefer, und man weiß, wie seltsam, scharf und zackig sich dies Gestein unter dem Einfluß der Sonne und des Wassers formt. Dazu die unzähligen schroffen Windungen des Tals; hundert Schritte lang drängt das Gestein links vor und dann wieder das rechts; so geht’s immer im Zickzack, immer in kurzen tiefen Schluchten dahin, und immer hat man die Empfindung: dies ist die letzte, und es geht nicht weiter – aber da rauscht ja neben dem Wanderer fröhlich der tapfere Genoß und Pfadgräber, die Schwarza. Ihr ist auch die erst ein Jahrhundert alte Chaussee gefolgt; französische Schule: man trotzt der Natur nicht, sondern sucht sich ihr anzuschmiegen. Wer eine der steilen, aber unschwer zu erklimmenden Kuppen besteigt, den Griesbachfelsen zum Beispiel – auch die Teufelstreppe, die zu ihm emporführt, ist das Werk eines braven, vorsorglichen Teufels –, und nun hinabblickt, hat die Empfindung, als wäre das Gestein von launischer Kinderhand wie mit der Laubsäge entzweigeteilt; so abenteuerlich sind die Krümmungen des Flußtals. Darum wechselt auch so oft die Beleuchtung, immerzu hüpft der Sonnenschein von der linken zur rechten Bergwand und umgekehrt. Auch diese Wände zeigen alle Spielarten der Farbe und Form. Rot, braun, schwarz erscheint der Schiefer, je nach dem Grad der Verwitterung, dazwischen steht das Grau des Sandsteins; von hellgrünen Büschen durchwachsenes Geröll bedeckt die Abhänge, mittendrin leuchtet das Rot wilder Rosen, droben stehen schwarzgrüne uralte Tannen, deren Wurzeln wie mächtige Bogen die Luft durchschneiden, denn das Geröll, durch das sie sich einst wanden, den Felsboden zu erreichen, ist zur Tiefe gestürzt; über ihnen aber blinkt in sonnengetränktem Blau das schmale Band des Himmels. Auch an verschiedener Musik fehlt’s nie: Wald und Fluß rauschen, Vögel singen, der Specht klopft. Freilich singen auch die Ausflügler »Wer hat dich, du schöner Wald« und andere Lieder dazwischen …
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