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Thüringen im literarischen Spiegel
Karl Emil Franzos
Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.
An die einstige Bedeutung Blankenburgs mahnt nur eine Ruine, allerdings eine der größten Deutschlands, der Greifenstein, auf einem steilen Hügel nördlich der Stadt. Wie ich so sacht emporschritt und mir das bröckelnde Mauerwerk immer gewaltiger entgegenwuchs, hatte ich einen starken Eindruck: als nahte ich einer zerstörten Stadt. Aber als ich nun oben zwischen Gestrüpp und Ginster umherkletterte, da sprach nur noch die Natur zu mir, der Ausblick ins helle breite Saaletal im Nordwesten, ins ernste zerklüftete Schwarzatal im Süden wirken jeder an sich und zudem durch den Gegensatz, aber das Mauerwerk sagte mir wenig. Es ist alles gar zu verwüstet; einen einzigen Bau abgerechnet, stehen eben, auch nur mit großen Lücken, die kahlen Mauern da, an manchen Stellen unter Mannshöhe, an anderen höchstens bis zum Doppelten und Dreifachen, und wie die Burg einst war, kann man sich nicht klar vorstellen, selbst den Zug der Umfassungsmauer nur mühsam erkennen.
Es waren eigentlich drei Burgen, an denen fünf Jahrhunderte geschaffen haben; mit dem Verwüsten ging’s ungleich rascher. Der älteste Teil ist die Burg, die man durch einen Spitzbogen zuerst betritt; die Quadern aus dem 13. Jahrhundert halten noch; was spätere Zeiten aus Muschelkalk und Ziegeln hinzufügten, ist fast verschwunden. Gegen West und Ost reihen sich, von dieser Burg durch tiefe Gräben geschieden, zwei andere an, von der westlichen sieht man wenig mehr, die östliche hingegen ist der besterhaltene Teil. Hier steht, von Buchen, Eichen und Flieder umwachsen, der frühgotische Chorbogen der Kapelle, hier, neu unter Dach gebracht, der Bau, in dem nun eine Wirtschaft betrieben wird. Auch aus der obersten Stube kann man die beiden Täler übersehen und das liebliche Rinnetal dazu; das sah ich mir, obwohl zwei Damen am nächsten Tisch geräuschvoll Leipziger Stadtklatsch breittraten, lange, lange an und ging dann mit wachen Sinnen und unbewegten Herzens zu Tal. Denn ins Träumen oder zu seelischer Anteilnahme bringen einen derlei Trümmerstätten nur, wenn sie an sich sehr schön sind oder Erinnerungen an große Schicksale wecken. Hier trifft beides nicht zu.
König Günther ist auf dem Greifenstein geboren, hat oft hier verweilt – aber was ist uns der arme Schattenkönig? Die Namen der andern, die hier herrschten, meldet »kein Lied, kein Heldenbuch«, und die Beherrschten gar sind still und stumm ins Grab gesunken, wie sie still und stumm gelebt und gelitten haben. Denn Blut und Tränen sind auch hier geflossen, viel Blut und viel Tränen, aber nur im Kampf um Mein und Dein, um ein Dorf oder, wenn’s hoch ging, um eine Geviertmeile. Wer auf dem Greifenstein steht, begreift sehr wohl, daß hier, an der Grenze zwischen Wald- und Ackerland, an der Mündung dreier Täler früh ein Flecken entstand, und ebenso, daß dieser Berg sehr bald zur Feste wurde. Sie beherrschte die Täler und war zur Zeit, da die Geschosse noch nicht weit trugen, fast uneinnehmbar. Kein Wunder auch, daß es andere danach gelüstete; mit wem immer die Schwarzburger in Fehde gerieten, um Stadt und Schloß Blankenburg ging’s zunächst. Daher die rastlose Arbeit durch fünfzehn oder mehr Menschenalter, den Greifenstein zu festigen; immer neue Gräben wurden gezogen, immer neue Mauern getürmt; im Frieden aber weilten die Herren lieber anderswo als in der düstern, riesigen Burg. So erklärt sich’s, daß der Palas, das Wohn- und Festhaus, sowie der Frauengaden hier bereits 1548 ein »Aufenthalt von Eidechslein und Nachtraben« waren, zu einer Zeit also, da noch neue Ringmauern angelegt wurden. Die Erfindung und Verbesserung der Kanonen nötigte dazu; der Kesselberg im Norden ist höher als der Schloßhügel. Als auch dies nicht mehr fruchtete, räumten die Herren den Greifenstein und verkauften das Gemäuer an die Bürger unten. Die bauten sich davon ihre Häuser, trieben auch Handel mit dem Gestein und Eisenwerk; widerstanden die Quadern, so wurde fleißig gesprengt. Daneben trieben hier Schatzgräber ihr Wesen, heimlich oder offen; es gab sogar im 18. Jahrhundert ordentliche Genossenschaften zu diesem Zweck, die auch emsig Gewölbe sprengten und Stollen trieben.
[…]
Die Zeiten wandeln sich; einst hat der Greifenstein die Blankenburger zugleich geschützt und geplündert, und nun tun sie ihm das gleiche; er ist ihr Steinbruch, aber vor allzu argem Verfall wahren sie ihn doch – der Fremden wegen, von denen nun die halbe Stadt lebt (die andere Hälfte von allerlei Fabriken); den Sommergästen muß der romantische Aussichtspunkt erhalten bleiben. Daß der Greifenstein wie die schönste so die älteste Ruine Deutschlands ist, darauf schwört jeder Blankenburger; sie wissen auch ganz genau, wer die Burg erbaut hat, »ein Herr Greif vor zweitausend Jahren«, wie mir die Kellnerin in der Burgwirtschaft sagte und der Krämer stolz bestätigte. Dieser Herr Greif ist aber keine Erfindung der neuen Zeit, sondern des 17. Jahrhunderts; damals fand’s ein Historiker: Greif war ein Sohn Karl Martells und erbaute die Burg 748; den Tag hätte der Mann auf Verlangen auch festgestellt; heute haben’s die armen Geschichtsschreiber viel schwerer.
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