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Thüringen im literarischen Spiegel
Karl Emil Franzos
Aus Anhalt und Thüringen, Rütten & Loening, Berlin 1903.
Hingegen kann man sich nicht allzuweit davon in einem fürstlichen Jagdschloß, der Fasanerie, erquicken. Es werden dort namentlich zwei hellbraune Flüssigkeiten geschenkt, die in ihrer Art einzig sind; mich wenigstens haben sie im Geschmack an nichts erinnert, was ich vorher im Leben getrunken habe. Die eine Flüssigkeit wird lauwarm in Gläsern gereicht und heißt dort Bier, die andere, die etwas heißer in Tassen geschenkt wird, nennt man dort Kaffee. Im Hause sind einige Zimmer mit Hirschhornmöbeln ausgestattet; sie schön und geschmackvoll zu finden hat nicht einmal unser Republikaner gewagt. Unter den Eichen der Fasanerie pflegten viele Schwarzburger Sommergäste den Nachmittag zu verbringen; die Damen stricken und erörtern die sozialpolitischen Aufgaben der deutschen Hausfrau gegenüber ihrem Mädchen für alles; die Herren spielen Skat; es soll dort sehr anregend sein.
Das weiß ich aber lediglich vom Hörensagen. Ich bin nur einmal dort gewesen, habe zuerst das Braune im Glas, hierauf, da dies nicht ging, das Braune in der Tasse verkostet und bin dann gegangen. Denn meine Zeit ist hier kostbar, ich muß ja das ganze Schwarzatal ablaufen.
Befohlen habe ich mir dies freilich nur selber, aber es war ein weiser Befehl, denn das Tal ist, den Unterlauf abgerechnet, sehr schön. Das letzte Stück freilich, von Blankenburg bis Dorf Schwarza, wo der Fluß in die Saale mündet, ist nüchtern: eine breite, fruchtbare Ebene, durch die das früher so wilde Gewässer nun zahm dahinschleicht, wie das so bei allem Lebenden gegen das Ende Brauch ist. Was aber nun den schönen Teil des Flußtals betrifft, so zerfällt er, selbst dem stumpfen Blick erkennbar, wieder in zwei verschiedene Teile, einen längeren vom Ursprung des Schwarzabachs bei Scheibe bis Schwarzburg und einen kürzeren von hier bis Blankenburg. Da nun aber dies Mittelstück der weitaus schönere Teil ist, so läßt sich leider kein Vergleich mit dem Menschenleben daran knüpfen. Denn der Mensch ist in der Jugend am schönsten, äußerlich immer und innerlich – das ist die traurigste Erfahrung, die uns das Leben lehrt, aber es lehrt sie – innerlich fast immer …
Womit ich nun hier beginnen soll, kann scheinbar nicht zweifelhaft sein; mit der Schilderung des oberen Teils von Scheibe bis Schwarzburg, denn das Schönste muß man sich für den Schluß aufsparen. Ich mach’s aber umgekehrt, denn zwischen Schwarzburg und Blankenburg bin ich wie jedermann fast nur unter Touristen gewandelt, im oberen Tal aber unter Köhlern und Hirten, Balsamträgern und Arbeitern. Und das dunkelste Leben, wenn man’s recht zu erfassen bemüht ist, ist fesselnder als die schönste Natur.
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