1939/40 war H. W. Katz Soldat in der französischen Armee. Ob er zu diesem Zeitpunkt wusste, was mit seiner Familie in Thüringen geschah? (Die genauen Umstände des Todes seines Vaters erfuhr er erst in den 1960er Jahren von einem Zeitzeugen.)
1921 geriet Galizien wieder einmal in die Wirrnisse der großen Politik. Im Frühjahr wurde nach Ende der dortigen Kriegshandlungen zwischen Russland, Polen und der Ukraine der Friedensvertrag von Riga unterzeichnet. Mit neuen Grenzverläufen entstand die Zweite Polnische Republik. Zu ihr gehörten nun der Westteil Wolhyniens und Ostgalizien. Damit galten die galizischen Juden als polnische Staatsbürger. Am 27. Oktober 1938 ordnete Reinhard Heydrich, Leiter der Sicherheitspolizei und des SD an, dass alle in Deutschland lebenden Juden mit polnischen Ausweispapieren ein Aufenthaltsverbot erhalten und »in Sammeltransporten« über die polnische Grenze abgeschoben werden. Im Zuge der sogenannten »Polenaktion« wurden 17.000 polnische Juden verhaftet und deportiert. Darunter auch Aron Katz, Ehefrau Gustl und Sohn Saul sowie Arons Brüder Leo und Mathis mit ihren Ehefrauen, die am 28. Oktober 1938, für sie wohl vollkommen überraschend und unverständlich, Gera für immer verlassen mussten. Ihr Traum von einem Leben im »gelobten« Deutschland war längst ins Nichts zerstoben. Eine Möglichkeit in ein anderes Land zu fliehen oder sich in Gera unterzutauchen, gab es nicht.
Von Arons Sohn Saul, damals 16 oder 17 Jahre, existiert vermutlich nur eine einzige Nachricht – eine Postkarte, am 7. November 1938 abgeschickt aus Lemberg, wo er angeblich bei Verwandten Unterkommen fand. Willys Bruder Michael konnte mit seiner Frau Grete nach Palästina flüchten. Später ging er in die USA. Toni Katz, der Tochter von Leo, gelang die Ausreise nach Palästina, später lebte sie in Paris. Ihr Bruder Isaak konnte sich ebenfalls retten und gelangte nach Palästina. Mary, die Tochter von Mathis Katz, überlebte, ebenso ihr Mann und Sohn. Sie fanden in den USA eine neue Heimat.
Mit dem Überfall auf Polen durch die deutsche Wehrmacht begann am 1. September 1939 der Zweite Weltkrieg. Durch den Hitler-Stalin-Pakt wurden die Grenzen in Ostmitteleuropa neu geregelt. Die Zweite Polnische Republik verschwand von der Landkarte. Ostpolen, darunter auch Ostgalizien, kam unter sowjetische Besatzung. Nach dem Überfall des Deutschen Reiches auf die UdSSR am 22. Juni 1941 wurde Galizien vom deutschen Militär besetzt. Die jüdischen Einwohner und Flüchtlinge, vorwiegend aus Polen, etwa 330.000 Menschen, waren Razzien, Zwangsarbeit bis hin zur systematischen Vernichtung ausgeliefert. Im November 1941 entstand das Ghetto von Lemberg.
Hierher wurden Aron und seine Frau Gustl, vielleicht auch Saul, dessen Spur sich in den Todeslagern verliert, deportiert. Wahrscheinlich während der beiden Massaker in der Piaski-Schlucht wurden Aron und Gustl durch die SS ermordet. Von den anderen deportierten Mitgliedern der Familie Katz überlebte keiner.
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