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Literarisches Thüringen um 1800
Christoph Schmitz-Scholemann
Thüringer Literaturrat e.V.
Die Liebesbeziehung Charlottes von Kalbs zu dem Schriftsteller Jean Paul (Johann Paul Friedrich Richter) begann um 1795. Charlotte, deren Augenleiden in dieser Zeit schon zunahm, hatte die beiden frühen Romane des romantischen Ironikers (»Die unsichtbare Loge« und »Hesperus oder 45 Hundsposttage«) gelesen, war begeistert und lud den Dichter mit einem Brief vom 29. Februar 1796 nach Weimar ein. Am 10. Juni kam Jean Paul in Weimar an. Charlotte tat für Jean Paul, was sie auch für Schiller getan hatte. Sie verschaffte ihm Zugang zur Weimarer Gesellschaft, vor allem zum Hof, zu dem Jean Paul als Bürgerlicher ohne adelige Fürsprache nur schwer Zutritt hätte finden können. Und sehr bald schon entspann sich eine intensive Affäre, deren Glück und Not sich in Charlottes Briefen an Jean Paul aussprechen. Einige Passagen seien hier zitiert:
Juni 1796:
Sind Sie Ihres Versprechens eingedenk? Kommen Sie heute und um welcher Minute? Ich habe Ihnen viel zu sagen.
Die Erde trägt mich geduldig, und den Himmel fand ich … in Ihren Schriften und die Quelle des Ewigen in Ihnen…
Diesen Morgen erwachte ich, es dämmerte noch, aber ich konnte die Farben um mich unterscheiden. Ich bin auf Dein Billet sehr verlangend … Ach, mein Gott, ich habe schmälen wollen über die Stunde von gestern, von 8, 9…
Dezember 1798
Ich fange an zu zittern und Todeskälte umfasst mich. Ich kann nichts thun, bis ich weiß, ob Sie den Abend kommen…
›Dass ich meine Lippen auf die Wunden Deines Herzens legen werde. Sei still, liebe Seele.‹…. Es ist mir, als hörte ich nur meine Liebe … O nimm mich auf, damit ich sterben kann, denn ich kann entfernt von Dir nicht leben und nicht sterben.
April 1799
Guten Morgen, mein Geliebter…. Wann sehe ich Dich, du Lieber?
Wir müssen miteinander leben und sterben. Das sagt meine Vernunft, mein Verstand, mein Herz und mein ganzes Wesen findet nur Wohlsein in diesem Wahn…
Tatsächlich wurde Charlottes Liebe mehr und mehr zu einem Wahn, an dem sie mit der Kraft kindlichen Trotzes festhielt, bis Jean Paul, der wohl zu Recht im Ruf des Schwerenöters stand, immer seltener und schließlich gar nicht mehr antwortete. Wenn irgendetwas Charlottes bewundernswerte Entschlossenheit im Kampf um die Liebe, nach der sie lebenslang dürstete, zeigt, dann ist es die Tatsache, dass sie, nachdem Jean Paul ihr nicht mehr schrieb, eine über zwei Jahrzehnte andauernde ebenso herzliche wie respektvolle Brieffreundschaft mit Jean Pauls Frau anknüpfte.
Dass Jean Paul selbst Charlotte keineswegs verachtete, auch wenn er sie nur für kurze Zeit lieben konnte, zeigen folgende Zeilen, die er im September 1798 niederschrieb:
Die halbblinde Kalb ist leider nicht hier; mit hoher, heiterer Stille erduldet sie ihre lange Nacht, aber oft auf einmal bricht … aus dieser bedeckten Seele ein breiter, glühender Strom.
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