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Literarisches Thüringen um 1800
Christoph Schmitz-Scholemann
Thüringer Literaturrat e.V.
Im Mai 1784 – ein Jahre nach der Trauung mit Heinrich von Kalb – war Charlotte von Kalb schwanger. Sie begleitete ihren Mann auf einer Militär-Dienstreise nach Landau in der Pfalz. Auf dem Weg machte das Ehepaar Kalb in Mannheim Station. Im Hotel traf man den damals blutjungen Dichter Friedrich Schiller. Es war, wenn sich die beiden nicht schon ein gutes Jahr vorher in Bauerbach begegenet sein sollten, Liebe auf den ersten Blick zwischen dem dünnen, dauerentflammten und fahrigen Dichter und der, nach zeitgenössischen Bildern zu urteilen, recht üppigen und mit langem, dichtem und schönem Haar gesegneten Frau Majorin.
Von Anfang an war den beiden Liebesleuten Charlotte und Friedrich das Gewagte ihrer Verbindung klar. Dass man nach damaligem Verständnis weder einander lieben musste, um glücklich verheiratet zu sein, noch heiraten musste, nur weil man liebte, steht auf dem einen Blatt. Aber auf dem anderen steht vielleicht, dass man nicht lieben muss, um eifersüchtig zu werden und dass mancher erst durch plötzliche Eifersucht merkt, dass er liebt. Also genügend Gründe zur Verwirrung der Herzen gab es auf jeden Fall. Und als besonders anständig galt eine Verbindung zur linken Hand auch damals nicht, schon gar nicht bei einer Frau. Das Tohuwabohu der Gefühle zeigte sich in dem mit ups and downs reich gesegneten und durch mehrere Jahre sich hinziehenden Verhältnis zwischen Charlotte von Kalb und Friedrich Schiller. Manchmal versuchte man, Dreier-Begegnungen zu vermeiden, manchmal suchte man sie. Es gab heimliche Treffen und unheimliche Peinlichkeiten. Es war ein unablässiger Grabenkampf der Gefühle. Als Charlotte in dessen Verlauf sowohl eine offene Dreierbeziehung erwägt als auch ihrem Mann schließlich die Scheidung vorschlägt, bekommt Schiller, der inzwischen für eine andere Charlotte und ihre Schwester schwärmt, kalte Füße. Zu feige, der Frau Majorin reinen Wein einzuschenken, weicht er ihr aus und lässt sie zappeln. In einem Brief an seine spätere Frau Lotte v. Lengfeld und ihre Schwester Caroline v. Beulwitz vom 12. September 1789 – Nachts – schreibt er:
Die Kalb macht mich indessen doch jezt etwas verlegen. Das Verhältniß worinn sie mit ihrem Mann sich versetzen will (ich hab euch, denk ich, schon davon gesagt) hat mich ihr in gewissem Betracht jezt unentbehrlich gemacht, weil ich es allein ganz weiß und sie nicht ohne Rath ohne fremde Augen dabey zu Werke gehen kann…. Sie verlangte, und konnte es auch mit allem Recht von mir verlangen, dass ich nach Weimar zu ihr kommen und über diese neue Lage der Dinge mit ihr berathschlagen solle – aber sie wollte es entweder heut oder Morgen, und weder heute noch Morgen noch Uebermorgen wäre mirs möglich gewesen.
Geschmackvollerweise bestellt Schiller Charlotte, die er innerlich längst abgeschrieben hat, zur endgültigen Aussprache für einen anderen Tag, und zwar ausgerechnet zu den Nebenbuhlerinnen, zwischen denen er sich gerade auch nicht entscheiden kann, also zu den Lengefeld’schen Schwestern, was Charlotte dann – noblesse oblige – selbstverständlich ablehnt.
Die Affäre ging nicht spurlos an Schillers Werk vorüber. Zu den deutlichsten Spuren gehört das Gedicht »Der Kampf«, das in einer früheren, sehr viel längeren Fassung »Freigeistery der Leidenschaft« hieß.
Der Kampf
Nein, länger werd‹ ich diesen Kampf nicht kämpfen,
Den Riesenkampf der Pflicht.
Kannst du des Herzens Flammentrieb nicht dämpfen,
So fordre, Tugend, dieses Opfer nicht.Geschworen hab‘ ich’s, ja ich hab’s geschworen,
Mich selbst zu bändigen.
Hier ist dein Kranz, er sey auf ewig mir verloren,
Nimm ihn zurück und laß mich sündigen.Zerrissen sey, was wir bedungen haben,
Sie liebt mich –deine Krone sey verscherzt.Glückselig, wer in Wonnetrunkenheit begraben,
So leicht wie ich den tiefen Fall verschmerzt.
Sie sieht den Wurm an meiner Jugend Blume nagen
Und meinen Lenz entflohn,Bewundert still mein heldenmüthiges Entsagen
Und großmuthsvoll beschließt sie meinen Lohn.
Mistraue, schöne Seele, dieser Engelgüte,
Dein Mitleid waffnet zum Verbrechen mich.
Giebt’s in des Lebens unermeßlichem GebieteGiebt’s einen andern schönern Lohn als dich?
Als das Verbrechen, das ich ewig fliehen wollte?
Tyrannisches Geschick!
Der einz’ge Lohn, der meine Tugend krönen sollte,
Ist meiner Tugend letzter Augenblick!
Dass Schiller sich letztlich anderen Frauen zuwandte, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, dass Charlotte immer wieder, mit Einladungen und insistierenden Briefen, auf ihrer Liebe beharrte, auch als sie längst verloren war. Irgendwie unschön ist, dass das frauenfeindiche Narrativ von der »hysterischen Koketten« und ihrem unstillbaren Liebesdurst offenbar so gut zur Klatschsucht der Literaturhistoriker passt, dass Charlotte von Kalbs Ruf bis heute darunter leidet. Dabei waren Schillers anfängliche Begeisterung und die sich anschließende feige Flucht vor dem Glück mindestens so hysterisch wie Charlottes Partisanenkampf der Liebe. Schiller, das sei zu seiner Ehrenrettung gesagt, scheint es ebenso gesehen zu haben. In dem schon erwähnten Brief vom 12. September 1789 schreibt er:
Sie hat auf meine Freundschaft die gerechtesten Ansprüche und ich muß sie bewundern, wie rein und treu sie die ersten Empfindungen unserer Freundschaft, in so sonderbaren Labyrinthen die wir miteinander durchirrten, bewahrt hat.
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