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Literarisches Thüringen um 1800
Christoph Schmitz-Scholemann
Thüringer Literaturrat e.V.
Wechselhaft war das Schicksal Charlotte von Kalbs bis an ihr 40. Lebensjahr. Danach präsentierte es sich, äußerlich betrachtet, als Aneinanderreihung von Unglücksfällen. Die zähen Gerichtsprozesse um ihr Vermögen kosteten Nerven und viel Geld. Sie endeten desaströs. Charlotte, die das gute Leben gewohnt war, sei es in Weimar, sei es auf Schlössern in den Ostheimschen Besitzungen im Grabfeld, sei es auf dem Gut der von Kalbs in der Goldenen Aue, Charlotte von Kalb war nun regelrecht arm. Mit ihrer Tochter Edda, die eine Stelle als Hofdame beim preußischen Hof in Berlin bekam, zog sie von Thüringen in ein kleines Seitengelass im Berliner Schloss. Ihr Mann, wir erwähnten es, nahm sich das Leben, ihr Sohn tat ein gleiches, sie selbst erblindete vollständig und konnte manchmal über Wochen und Monate ihre Wohnung nicht verlassen. Fast vier Jahrzehnte verbrachte Charlotte so ihre Tage. Aber sie blieb nicht tatenlos. Um sich wirtschaftlich etwas besser über Wasser zu halten, betrieb sie einen kleinen Handel mit Schokolade und Strickwaren. Gewinn erzielte sie nicht. Sie schmiedete Pläne für ein Privatinternat – auch dies wurde ein Fehlschlag. Und doch hinterließ sie, als sie am Morgen des 12. Mai 1843 81jährig in den Armen ihrer Tochter starb, ein bemerkenswertes, wenn auch schmales schriftstellerisches Werk. Es besteht aus Briefen, einem kleinen autobiographischen Roman und ihren Lebenserinnerungen.
Zeitlebens hatte Charlotte von Kalb ein durchaus ernsthaftes Interesse an Kunst, Philosophie und Literatur. Sie korrespondierte, auch über Literatur und Philosophie, mit den beiden geliebten Männern ihres Lebens – und das waren immerhin zwei der bedeutendsten Dichter der klassischen Zeit. Die im Unterschied zu den Briefen an Schiller erhaltenen Briefe an Jean Paul lesen sich heute als kleiner Briefroman; 1882 erschienen sie in Berlin als Buch, man bekommt sie noch als Reprint. Freundschaften pflegte Charlotte, zumeist brieflich, auch mit Hölderlin und Herder, mit Goethe und Johann Gottlieb und Imanuel Hermann Fichte und Rahel Varnhagen. Sie war ein beachtlicher Nebenstern im Kosmos Jena-Weimar und später, soweit Alter und Gesundheit es erlaubten, in der Berliner Gesellschaft.
Klugheit, Empfindsamkeit, Belesenheit, Temperament, Sinn für originelle Formulierung, auch ein gewisses Maß an Sturheit – alle diese Voraussetzungen für eine schriftstellerische Karriere hatte Charlotte von Kalb. Woran es ihr mangelte, um ein genuin literarisches Werk zu hinterlassen, war die für Frauen ihrer Zeit – und erst recht in der Welt des fränkisch-thüringischen Landadels – nicht vorgesehene klassische Bildung. Es fehlte ihr die innere Gewissheit, als Frau in der Literatur überhaupt in Betracht zu kommen, etwas Eigenes, gar Anderes, Weibliches entwerfen und sagen, kurz gesagt: produktiv werden zu dürfen. Sie hielt sich selbst und ihre Zeit nicht reif dafür und schrieb: »Wenn der Geist und das Herz mehr verstanden wird und die Natur reif ist für die reinste Wahrheit, (erst) dann dürfen, dann sollen Frauen reden und schreiben.«
Dennoch hinterließ Charlotte zwei kleine Bücher, die sie ohne Hoffnung auf Ruhm aber doch mit Lust auf den Versuch, etwas Dauerhaftes zun schaffen, in den Berliner Jahren teils schrieb, teils ihrer Tochter Edda diktierte. Das eine ist ein kurzer Roman mit dem Titel »Cornelia«, das andere die Autobiographie »Charlotte (Für die Freunde der Verewigten.) – Gedenkblätter von Charlotte von Kalb.« Beide erschienen auf Betreiben ihrer Tochter posthum und sind heute gelegentlich noch antiquarisch, meist aber nur in Bibliotheken greifbar. Die Werke zeigen eine sich in Produktivität und eigenen Ton hineintastende Schriftstellerin, die sich im Wesentlichen über ihre Empfindungskraft definiert und sich dabei manchmal zu einem für das Ohr des heutigen Lesers schwer erträglichen schwärmerischen und salbungsvollen Ton aufschwingt. Dennoch reizvoll ist die Lektüre vor allem der Memoiren, weil der durchaus vorhandene – sagen wir es klar und hart: – Kitsch in einem hochinteressanten Kontrast steht zu Passagen scharfer, trockener Beobachtung und origineller sarkastisch-witziger Bemerkungen.
Das alles in allem dürftig entwickelte Frauenbild der Weimarer Klassik fasst sie wie folgt zusammen:
Ich kenne nichts Trivialeres als die Vorstellungen unserer meisten Aufklärer und Dichter über die Frauen.
Als Siebzigjährige, die keinen angemessenen Lesestoff mehr für sich findet und deshalb zur Zeitungslektüre hinabsteigen muss, notiert sie:
Meine Unterhaltung ist jetzt … das ›Morgenblatt‹. Wie ein Wurm nähre ich mich von Blättern, kann also hoffen, noch ein Schmetterling zu werden.
Die Architektur der Memoiren (»Gedenkblätter«) wird mit einem gewissen Recht als chaotisch und wirr bezeichnet. Richtig ist auch, dass in den Texten Fiktion und Bericht oft schwer voneinander zu scheiden sind. Man kann das natürlich als »historisch-biographische Unzuverlässigkeit« brandmarken, man kann die Mischung von Fakten und Fiktion aber auch als Kunstgriff verstehen. Ebenso zwiespältig kann man es sehen, dass Charlotte in den Prosatext mal mehr, mal weniger plausibel Gedichte einstreut. Und es gibt Abschnitte, die zwischen erzählerischen Minaturen und Aphorismen changieren. Auch hier gilt: Ein strenger Bauplan, eine durchgängige Erzählstrategie ist nicht erkennbar. Und doch: Man liest das etwas zusammengeflickt wirkende Buch mit Neugier, immer wieder überrascht und gelegentlich regelrecht entzückt über stilistische und gedankliche Volten. Manchmal taucht der Gedanke auf, dass wir es hier mit einer raffinierten Vorform literarischer Montagetechnik zu tun haben, mit einer Patchwork-Prosa – mit dem passenden Kostüm einer traurigen und unendlich liebenswerten Clownin. Ein bißchen schrill war sie ja wirklich. Wie schrieb Rahel Varnhagen über Charlotte von Kalb?
Frau von Kalb ist von allen Frauen … die geistvollste … Sie fühlt sich so frei, dass sie nach dem erhabensten Geistesblick öfters lacht … flugs nimmt ihr Geist eine … entgegengesetzte Richtung und tut da wieder Wunder…
Abb.: unbekannter Künstler, Album von Berlin, Globus Verlag, Berlin 1904.
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