Der leitende Gedanke meines Buches ist: jeder Mensch schafft sich sein Schicksal, seinen Himmel selbst, wohlverstanden aber: eben nur den seinen.« Dieser Gedanke ist zugleich Ausdruck der Weltanschauung Otto Ludwigs, die aus den Schlussworten seiner Erzählung spricht: »Nicht der Himmel bringt das Glück; der Mensch bereitet sich sein Glück und spannt sich seinen Himmel selber in der eigenen Brust … Kehre dich nicht tadelnd von der Welt, wie sie ist, suche ihr gerecht zu werden, dann wirst du auch gerecht. Und in diesem Sinne sei dein Wandel: Zwischen Himmel und Erde!
Das Buch fand schnell weite Verbreitung, sogar über Deutschland hinaus in mehrsprachigen Übersetzungen.
Natürlich wurde es auch in Eisfeld bekannt, und es tauchte die Frage auf, ob der Verfasser nachweisbare Erinnerungen aus seiner Heimatstadt in die Erzählung aufgenommen hat. Zweifellos konnte der Dichter den furchtbaren Stadtbrand 1822, der seine Familie ruinierte, nie vergessen. Doch ebenso stark musste sich dem Zwanzigjährigen das Erlebnis eines Wintergewitters vom 5. zum 6. Februar 1835 in Eisfeld eingeprägt haben, bei dem es mehrmals in den Kirchturm St. Nikolaus einschlug und zündete. Mit viel Aufwand wurde der Brand gelöscht. Der Blitzeinschlag war so heftig, dass er durch die ganze Kirche hindurchgegangen war. Ludwig vertauschte in dichterischer Freiheit den Namen des Turmes und bezeichnete ihn mit St. Georg, wie der Spitalturm in der Eisfelder Altstadt geheißen hatte. Es ist wahrscheinlich, dass sich die Erinnerungen an das eigenartige Naturschauspiel später mit dem Schicksal der Schieferdeckerfamilie in »Zwischen Himmel und Erde« verband. Die Gewitternacht aber wurde der Höhepunkt der Ereignisse, aus denen der Held Apollonius Nettenmair als Retter der Stadt hervorgeht und sein Glück, das innere Gleichgewicht im Einsatz für das Allgemeinwohl wiederfindet:
Es schlug Zwölf vom Sankt Georgenturm. Der letzte Schlag schien nicht verhallen zu können. Aber das tiefe dröhnende Summen, das so lange anhielt, war nicht mehr der verhallende Glockenton. Denn nun begann es zu wachsen; wie auf tausend Flügeln kam es angerauscht und geschwollen und stieß zornig gegen die Häuser, die es aufhalten wollten, und fuhr pfeifend und schrillend durch jede Öffnung… Da man ein Gewitter voraussah, war alles in den Kleidern geblieben… Der Sturm brauste fort, aber wie er aus dem letzten Glockenton von Sankt Georg geboren schien, so erhob sich jetzt aus seinem Brausen etwas, das an Gewalt sich so riesig über ihn emporreckte, wie sein Brausen über den Glockenton. Eine unsichtbare Welt schien in den Lüften zu zertrümmern. Der Sturm brauste und pfiff wie mit der Wut des Tigers, das er nicht vernichten konnte, was er packte, das tiefe majestätische Rollen, das ihn überdröhnte, war das Gebrüll des Löwen, der den Fuß auf dem Feinde hat, der triumphierende Ausdruck der in der Tat gesättigten Kraft. »Es hat eingeschlagen«, sagte einer. Apollonius dachte: Wenn es in den Turm schlüge von Sankt Georg, dort in die Lücke und ich müßte hinauf und es schlüge Zwei und – Er konnte nicht ausdenken. Ein Hilfeschrei, ein Feuerruf erscholl durch Sturm und Donner.
Abb. 1: Max Beerbaum, 1913 / Abb. 2: Fotograf verm. Hanns Glaser, 1950 / Abb. 3: Illustrierter Filmkurier 1934. Alle Fotos Museum Eisfeld.
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