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Zum Jahreswechsel 1857/58 schreibt der 52-jährige Hans Christian Andersen »Pebersvendens Nathue« (Des Hagestolzen Nachtmütze), ein Märchen um einen alten, einsamen Junggesellen in der Fremde, der sich seiner großen, tragisch verlaufenden Jugendliebe erinnert. Das Besondere an dieser kleinen, melancholischen Geschichte ist die Herkunft des Protagonisten Anton. Jenen, von allen nur »Pfefferhöker« genannten Mann, lässt Andersen aus dem thüringischen Städtchen Eisenach entstammen, dem der Greis mit ganzem Herzen anhängt. Die mit nichts vergleichbaren Buchenwälder, die alten Eichen und stolzen Ritterburgen – man meint, in den wehmütigen Erinnerungen des Alten auch jene des Dichters herauslesen zu können, denn lebhaft steht dem Leser jene wunderschöne Gegend vor Augen, um die sich derart viele Sagen und Legenden ranken. Das der Märchenerzähler Andersen nicht umhin konnte, auf seinen Wegen nach Weimar wenigstens einmal Halt in Eisenach zu machen, lag auf der Hand.
Ganz in der Nähe des Stadtschlosses, im Gasthof »Halbmond« in der Georgenstraße, bezog er am 16. August 1846 ein Zimmer, erfrischte sich und nahm den Weg zur über der Stadt thronenden Feste in Angriff. Zu Fuß war dies, damals wie heute, eine ungemein mühsame Angelegenheit, weshalb der schmächtige Däne denn auch bei seinen ersten beiden Versuchen nach der Hälfte des Aufstiegs erschöpft umkehren muss. Beim dritten Anlauf nahm er schließlich eine Kutsche. Auf der Wartburg, zu dieser Zeit noch ohne Dürnitz und Bergfried, genoß er die sich herrlich unter ihm ausbreitende spätsommerliche Natur, deren Wirkung nach einem frühen Regen auf den für solche Dinge hochgradig Empfindsamen noch eindringlicher gewesen sein muss.
In der Ferne erblickt er einen in den Fels geschlagenen großen Buchstaben, ein »M«, gewidmet der Großherzogin Maria Pawlowna, Mutter seines geliebten hochherrschaftlichen Freundes Carl Alexander. Andersen absolviert das übliche touristische Programm, lässt sich Luthers Stube mit dem Tintenklecks zeigen, die Rüstkammer und den Saal der Minnesänger. Mit einer kurzen Besichtigung der Zimmer des Erbgroßherzogs – welcher sieben Jahre später der Wartburg jenes Gepräge geben sollte, dass uns heut vertraut ist – endete dieser Abstecher und Andersen begab sich wieder in Richtung Tal, nicht jedoch ohne vorher der Sagenwelt dieser Gegend einen Besuch abzustatten.
Er beschaut sich »Mönch und Nonne«, Zeugnis einer unmöglichen, jedoch durch Gottes Gnade letztlich doch erfüllten Liebe. Diese von der Natur innig angeordneten Felsen, welche aus der Ferne wie zwei sich Küssende anmuten – wobei Andersen noch rätselt, wer jetzt eigentlich wer sei – wird er später im »Hagestolz«, in künstlerischer Freiheit, der Wartburg beistellen. Ganz in Wagnerscher Manier, dessen Oper »Tannhäuser« ein Jahr zuvor erstmals aufgeführt wurde, lässt er den Minne singenden Sünder der Herrin des Venus-/ Hörselberges verfallen. Das Volk hier kennt sie noch als Frau Holle, wie es auch um das Rosenwunder ihrer Schutzheiligen Elisabeth von Thüringen weiß. All der gesunkene Mythenschatz, der sich über die Jahrhunderte im Volksglauben erhalten hatte – dem ewig Suchenden ist er Nahrung für seine Geschichten und Allegorien auf das ewig Menschliche.
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