Am nächsten Tag besinnt Andersen sich seiner literarischen Götter und macht sich auf den Weg zur Fürstengruft. Die Särge in der Kapelle sind jetzt umgestellt, lässt er sein Tagebuch am 29. Juno 1844 wissen und bemerkt weiter:
Goethe und Schiller stehen nebeneinander, ich wollte zu Goethes Sarg, und da war es der von Schiller, über den ich mich beugte. Ich stand zwischen ihnen beiden, sprach mein Vaterunser, bat Gott, mich einen Dichter werden zu lassen, der ihrer würdig sei, und ansonsten solle im Bösen wie im Guten sein Wille geschehen.
Aus den Gebinden auf den beiden Särgen entwendet er noch schnell zwei Lorbeerblätter als Souvenirs und lässt ansonsten den lieben Gott einen guten Mann sein. Ich ruhte mich recht auf ihren Särgen aus, gibt er zu Protokoll.
Es waren, ausgenommen leichter Anflüge eingebildeter Leiden, unbekümmerte, erfüllende Tage. Schöner und erfolgreicher, als Andersen sie sich womöglich vorgestellt hatte. Zufrieden ließ er all die Aufmerksamkeiten und Huldigungen, all die neuen Eindrücke und ihm wohlgesonnenen Menschen auf sich einwirken. Jedoch misstraute er diesem Frieden im gleichen Maße, wie er ihn genoss. Er wusste, dass dieses Glück nicht für die Ewigkeit gemacht war, zu offensichtlich erschien ihm das Kulissenhafte und Verzweifelte dieser realen Inszenierung. Das Hofieren seiner Person, die ihm entgegengebrachten Gunst diente vor allem dem Zweck, der nun wieder ruhmlosen kleinen Residenzstadt an der Ilm zu neuem Glanz zu verhelfen. Für musikalische Herrlichkeit war gesorgt, denn Franz Liszt war der Stadt widerfahren. Aber es fehlte ein Dichter in dessen Größe Liszts und Weimars Stern umso heller strahlen konnte. Und dieses Licht, so hoffte man, könnte von Andersen ausgehen.
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