Hans Christian Andersen in Thüringen

Schlief mit weh­mü­tig-fro­hen Gefüh­len ein, daß ich Gast
im Schloß des frem­den Fürs­ten bin, von ihm geliebt;
die Lakaien nen­nen mich: ›Gnä­di­ger Herr!‹ Das ist ein Märchen.

 Tage­buch­ein­trag Hans Chris­tian Ander­sens
vom 20. August 1846 auf Schloß Ettersburg

 

Sein Leben – es muss ihm wahr­lich wie ein Mär­chen erschie­nen sein. Hans Chris­tian Ander­sen, Sohn eines Flick­schus­ters und einer Wäsche­rin, gebo­ren in der däni­schen Pro­vinz, weder mit Schön­heit noch mit allzu sta­bi­ler, sowohl psy­chi­scher als auch phy­si­scher, Gesund­heit geseg­net, avan­cierte nach Jah­ren ver­zwei­fel­tem Anren­nens gegen das schein­bar vor­her­be­stimmte Schick­sal zum Lieb­ling der Gesell­schaf­ten, zum Ver­ehr­ten und Gelieb­ten, dem sowohl die Königs­häu­ser, als auch der Mann von der Straße zu Füßen lagen, und dies alles aus dem einen Grund – Ander­sen schrieb Märchen.

Wie kaum ein ande­rer sei­ner Zeit war er Kraft sei­ner über­bor­den­den Phan­ta­sie dazu imstande, die gro­ßen Dinge des Daseins, wel­che jeden Men­schen bewe­gen und berüh­ren, in kleine, bild­präch­tige Minia­tu­ren zu ver­wan­deln. Sich schein­bar den Ohren und Her­zen der Kin­der zuwen­dend, fan­den seine Geschich­ten ihren Weg auch zu den Eltern, für die seine Erzäh­lun­gen nicht min­der bestimmt waren. Er ist ein uner­müd­lich Schrei­ben­der, des­sen Oeu­vre nicht allein seine mär­chen­haf­ten Dich­tun­gen aus­macht. Gleich­falls dem Lyri­schen wen­det er sich zu, ver­öf­fent­licht Romane, Rei­se­be­richte, steht in über­aus regem, brief­li­chem Kon­takt mit Gott und der Welt. Ja, sogar eine gewisse Fer­tig­keit in der Kunst des Sche­ren­schnitts macht er sich zueigen.

Der Tri­but, den er jener aler­ten Schöp­fer­kraft zu zol­len hatte, war eine stete Unrast auch im Außen; ein Getrie­ben­sein, um Neues zu erle­ben, was letzt­lich dem inne­ren Schaf­fens­drang wie­der zugute kom­men konnte. Andere Län­der woll­ten gese­hen, andere Men­schen und Schick­sale stu­diert wer­den. Dem Reich­tum der Natur, wie auch dem umtrie­bi­gen Leben in den Städ­ten wollte Ander­sen jenen Stoff ent­lo­cken, aus dem er seine Kunst­werke weben konnte. Die­ses Suchen des Klei­nen im Gro­ßen und Gro­ßen im Klei­nen gemahnt nicht umsonst an den Einen, den Gro­ßen, dem sich Ander­sen Zeit sei­nes Lebens ver­bun­den fühlte – Goe­the. So musste Wei­mar frü­her oder spä­ter Sta­tion werden.

Zehn­mal ver­schlug es den Getrie­be­nen nach Thü­rin­gen. Wei­mar machte er als ein­zi­ger Thü­rin­ger Stadt neun­mal seine Auf­war­tung. Allein der ver­bli­che­nen Über­reste jener Dich­ter ansich­tig zu wer­den, wel­che dem Her­zog­tum Welt­gel­tung ver­lie­hen hat­ten, erklärt nicht Ander­sens mehr­ma­lige Auf­ent­halte. Es musste also, auch noch in Zei­ten des ver­blas­sen­den Ruh­mes, etwas Beson­de­res mit die­ser klei­nen Resi­denz an der Ilm auf sich haben, das den Dich­ter anzog und band.

Doch der Reihe nach. Las­sen wir den Dich­ter erst ein­mal in Wei­mar ankom­men. Man schreibt den 24. Juno 1844; es ist ¼ 5 in der Frühe und in der Luft liegt bereits jene dumpfe, schwere Ahnung, die einem sehr war­men Tag vor­aus­eilt. Und Hans Chris­tian Ander­sen, soeben der Kut­sche ent­stie­gen, preist Gott dafür, dass er noch lebt…

 Hans Christian Andersen in Thüringen:

  1. Hotel »Zum Erbprinz« - Der Dichter trifft ein
  2. Bei Goethe vor verschlossenen Türen
  3. Zu Gast auf Schloss Ettersburg
  4. Besuch in der Fürstengruft
  5. Briefwechsel mit Carl Alexander
  6. Zu Gast im Kirms-Krackow-Haus
  7. »Abends bei Wolff, hier traf ich Hase« - Andersen in Jena
  8. Andersen auf der Wartburg
  9. Begegnung mit Franz Liszt
  10. Vor dem letzten Besuch in Weimar
  11. Die Grundsteinlegung des Carl-August-Denkmals
  12. Die Einweihung des Goethe- und Schiller-Denkmals
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